Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Gesicht des Fremden

Das Gesicht des Fremden

Titel: Das Gesicht des Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
Vom Netzwerk:
derjenige sein, der das Rätsel löst, besonders wenn Shelburne der Täter ist. Er möchte nicht das geringste mit dem Fall zu tun haben.«
    »Aus Neugier womöglich?« Es spiegelten sich noch andere Vermutungen in Evans Gesicht, doch die sprach er nicht aus.
    Monk hegte ähnliche Gedanken. Hatte Runcorn etwa einen Beweis für Shelburnes Schuld herbeigeschafft, den Monk zwangsläufig finden mußte? In dem Fall wäre er gezwungen, den Mann öffentlich zu beschuldigen. Evan und er starrten sich einen Moment in stummem Einverständnis an.
    »Das haben wir gleich«, sagte Evan und stieg langsam die Treppe hinunter.
    Es dauerte einige Minuten, bis er zurückkam. Während Monk auf der Treppe auf ihn wartete, suchte sein Verstand nach einem Ausweg, nach einer Möglichkeit, die Anklageerhebung gegen Shelburne zu vermeiden. Dann erst grübelte er über Runcorn nach. Bestand die Feindschaft zwischen ihnen schon lang? Mochte Runcorn ihn nur deshalb nicht, weil er den jüngeren und schlaueren Rivalen in ihm sah?
    Jünger und schlauer – sonst nichts? Vielleicht auch härter? Skrupellos, wenn es darum ging, den eigenen Ehrgeiz zu befriedigen? Ein Mensch, der andere für sich arbeiten ließ und dann die Lorbeeren einheimste, dem der Beifall der Öffentlichkeit wichtiger war als Gerechtigkeit? Der sich stets die reißerischsten, publicityträchtigsten Fälle aussuchte? Am Ende gar einer, der seine eigenen Fehler mit unendlichem Geschick auf andere abwälzte, nachdem er ihnen die Ideen gestohlen hatte?
    Nun – in dem Fall hatte er sich Runcorns Haß zu Recht zugezogen.
    Monk blickte zu der alten, sorgfältig verputzten Decke hoch. Gleich darüber befand sich der Raum, in dem Grey erschlagen worden war. Im Augenblick war er weit davon entfernt, skrupellos zu sein – er war durcheinander und deprimiert und fürchtete sich davor zu versagen. Konnte ihn die Kopfverletzung so stark verändert haben – und wenn nicht sie, dann vielleicht der Schock? Er sah sich von neuem mit der völligen Leere konfrontiert, die sich bereits im Krankenhaus wie ein gähnender Abgrund vor ihm aufgetan hatte.
    Doch da kam Evan zurück und unterbrach ihn in seinen Gedanken. Sein Kollege machte ein hochgradig besorgtes Gesicht.
    »Runcorn!« Nun, da er seine Befürchtung bestätigt sah, wurde Monk unvermittelt von heftiger Angst überfallen.
    Evan schüttelte den Kopf.
    »Nein. Es waren zwei Männer, denen ich noch nie begegnet bin, so wie Grimwade sie mir beschrieben hat. Aber er besteht darauf, daß sie von der Polizei waren, weil er einen Blick auf ihre Papiere geworfen hat, ehe er sie reinließ.«
    »Ihre Papiere?« Es hatte wenig Sinn zu fragen, wie die beiden ausgesehen hatten. Er konnte sich nicht mal an die Männer aus seiner eigenen Abteilung erinnern, geschweige denn an die aus den anderen.
    »Ja. Grimwade sagt, sie hätten die gleichen Dienstausweise gehabt wie wir.«
    »Konnte er sehen, ob sie von unserem Revier waren?«
    »Ja, Sir, das waren sie.« Evans Gesicht wurde noch bekümmerter. »Aber ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wer die beiden gewesen sein sollen. Warum sollte Runcorn noch jemand herschicken? Ich begreif das nicht.«
    »Sie haben nicht zufällig ihre Namen genannt?«
    »Grimwade hat sie sich nicht gemerkt, fürchte ich.«
    Monk drehte sich um und stieg die Treppe hinauf. Er war beunruhigter, als er Evan sehen lassen wollte. Vor Greys Tür blieb er stehen, schob den Schlüssel ins Schloß und stieß sie auf. Die kleine Diele war unverändert und unangenehm vertraut; sie erschien ihm wie ein böses Omen auf das, was dahinter lag.
    Evan folgte ihm auf dem Fuße. Sein Gesicht war blaß, sein Blick düster, aber Monk wußte, daß Runcorn und die beiden Männer, die er geschickt hatte, der Grund für seine Niedergeschlagenheit waren, nicht der Nachhall der brutalen Gewalttat.
    Es noch länger hinauszuschieben hatte wenig Sinn. Monk öffnete die Tür.
    Dicht hinter ihm, fast an seiner Schulter, ertönte ein langgezogener Seufzer, als Evan verblüfft den Atem ausstieß.
    In Greys Wohnzimmer herrschte ein wildes Durcheinander. Der Schreibtisch war umgeworfen, sein gesamter Inhalt in die Zimmerecken geschleudert worden – die Schriftstücke offensichtlich Blatt für Blatt. Aus den Stühlen waren die Sitzflächen herausgerissen, das Polstersofa mit einem Messer aufgeschlitzt. Die Bilder waren auf dem ganzen Fußboden verstreut, die Rahmen an der Rückseite aufgetrennt.
    »Großer Gott!« Mehr brachte Evan nicht

Weitere Kostenlose Bücher