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Das Gesicht des Fremden

Das Gesicht des Fremden

Titel: Das Gesicht des Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Schmerzen, hab ich mir sagen lassen.«
    Der Mann bedachte ihn mit einem obszönen Schimpfwort.
    »Ganz meinerseits.« Monk sah ihn angeekelt an. »Also, wer hat Sie bezahlt?«
    Sein Gegenüber starrte haßerfüllt zurück.
    »Wer?« Monk beugte den Oberkörper vor.
    »Josiah Wigtight«, spuckte der Mann aus. »Geldverleiher in der Gun Lane, Whitechapel. Und jetzt raus!«
    »Geldverleiher. Und an welche Leute verleiht er Geld?«
    »Die Sorte, die’s zurückzahlen kann, Blödmann!«
    »Danke.« Monk richtete sich lächelnd auf. »Danke, Fälscher. Ihrem Geschäft droht keine Gefahr; Sie haben uns nichts verraten.«
    Der Fälscher wünschte ihn ein letztes Mal zum Teufel, doch Monk war bereits zur Tür hinaus, Evan dicht auf den Fersen. Monk lieferte ihm weder eine Erklärung, noch erwiderte er seinen fragenden Blick.
    Um dem Geldverleiher einen Besuch abzustatten, war es zu spät. Er wollte so schnell wie möglich von hier verschwinden, ehe einer von ihnen ein Messer zwischen die Rippen bekam.
    Er verabschiedete sich wortkarg und merkte, daß Evan noch etwas auf der Seele lag. Sein Kollege zögerte, wünschte ihm dann aber leise eine gute Nacht und machte sich auf den Weg. Im Licht der Gaslaternen wirkte seine elegante, hochgewachsene Gestalt eigenartig jung.
    Zu Hause angekommen, verschlang Monk dankbar eine warme Mahlzeit; er genoß jeden Bissen und haßte ihn gleichzeitig, weil es ihm nicht gelang, den Gedanken an all die Menschen zu verdrängen, für die es einen Sieg bedeutete, einen Tag mehr überstanden und genug zwischen die Zähne bekommen zu haben, um nicht zu verhungern.
    Im Gegensatz zu Evan war ihm nichts davon neu; anscheinend hatte er sich des öfteren in solchen Gegenden aufgehalten. Er hatte sich den Gegebenheiten instinktiv angepaßt, die Körperhaltung verändert, gewußt, wie man am effektivsten mit der Umgebung verschmolz, um ja nicht als Außenseiter, geschweige denn Amtsperson aufzufallen. Das Elend der Bettler, Kranken und Verzweifelten erfüllte ihn mit unerträglichem Mitleid und ohnmächtigem, bohrendem Zorn – aber es setzte ihn nicht in Erstaunen.
    Die gnadenlose Art, wie er mit dem Fälscher umgesprungen war, war nicht kalkuliert, sondern eine instinktive Reaktion gewesen. Er kannte die Rookeries und ihre Bewohner – womöglich hatte er selbst einmal dort ums Überleben gekämpft.
    Erst als auch das letzte Krümelchen vom Teller geputzt war, lehnte er sich zurück und dachte über den Fall nach.
    Ein Geldverleiher paßte ins Bild. Joscelin Grey konnte sich Geld geborgt haben, nachdem er sein bißchen Vermögen bei dem Projekt mit Latterly eingebüßt hatte und seine Familie nicht bereit war, ihm unter die Arme zu greifen. Hatte dieser Kreditgeber ihn zu triezen versucht, ihn wegen der Rückzahlung unter Druck gesetzt? Und als Grey dagegen aufmuckte, war das Ganze außer Kontrolle geraten? Durchaus möglich. Yeats unerwarteter Gast konnte tatsächlich der Schläger eines Wucherers gewesen sein. Sowohl Yeats als auch Grimwade hatten den Mann als groß und kräftig beschrieben, soweit sie das unter dem Wust von Kleidungsstücken hatten erkennen können.
    Was für eine Feuertaufe für den armen Evan. Er hatte kein Wort mehr darüber fallenlassen, ja nicht einmal wissen wollen, ob Monk wirklich unschuldige Leute verhaftet und anschließend das Gerücht verbreitet hätte, sie wären vom Fälscher verpfiffen worden.
    Monk schüttelte sich bei der Erinnerung an das, was er alles gesagt hatte, auch wenn er nur seinem Instinkt gefolgt war. Er hatte eine Skrupellosigkeit an sich entdeckt, die ihn bei jedem anderen Menschen entsetzt hätte. War das sein wahres Gesicht? Nein, bestimmt hatte er dem Mann gegenüber bloß eine leere Drohung gemacht, die er nie im Leben in die Tat umgesetzt hätte. Oder doch?
    Was mochte Evan jetzt von ihm halten? Die Vorstellung, Evan könnte ernüchtert sein, seine Methoden genauso verdammenswert finden wie das Verbrechen, gegen das er sich stark machte, war Monk schrecklich. Womöglich begriff er nicht, daß Monk die Worte lediglich als Waffe eingesetzt hatte.
    Oder wußte Evan mehr über ihn als er selbst? Schließlich kannte er ihn von früher. Waren solche Worte damals eine Warnung gewesen, die prompt in die Tat umgesetzt wurde?
    Und Imogen Latterly – was hätte sie wohl empfunden? Absurder Gedanke! Die Elendsquartiere waren ihr mindestens so fremd wie die Planeten des Universums. Allein bei ihrem Anblick würde ihr schlecht werden, würde sie sich angewidert

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