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Das Gesicht des Fremden

Das Gesicht des Fremden

Titel: Das Gesicht des Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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garantiert ’ne nette kleine Scherbe in Ihren netten Bauch – da können Se Gift drauf nehmen! Ich werd Sie hinbringen.«
    »Ist Tommy neuerdings unter die Fälscher gegangen?« Monk versuchte seine Erleichterung mit dieser allgemeinen und, wie er hoffte, unverfänglichen Bemerkung zu überspielen.
    Der kleine Mann sah ihn fassungslos an.
    »Der doch nich! Der kann nich mal seinen eigenen Namen kritzeln, wie soll er da Papiere fälschen! Aber er kennt ’n richtig gerissenen Knaben, der’s kann. Wenn Se mich fragen, hat der Ihre Wische ausgestellt. Hat ’n prima Ruf,«
    »Gut. Jetzt zu der Jade – gar nichts rausgefunden?«
    Der Mann verzog seine gummiartigen Züge, bis er aussah wie ein beleidigtes Nagetier.
    »’n harter Brocken, das. Ich kenn ’n Bruder, der hat so ’n Ding gehabt, aber er schwört bei seiner Seele, daß er’s von ’nem Schleicher gekriegt hat – und Sie haben nix von ’nem Schleicher gesagt.«
    »Nein, ein Hoteldieb war das nicht«, bestätigte Monk. »Ist das alles?«
    »Alles, was ich sicher weiß.«
    Monk wußte genau, daß der Mann log, woher, konnte er nicht sagen. Es war die Summe etlicher Eindrücke und viel zu subtil, um analysiert werden zu können.
    »Ich glaube Ihnen nicht, Jake, aber das mit dem Fälscher haben Sie gut gemacht.« Er griff in die Tasche und brachte die versprochene Goldmünze zum Vorschein. »Wenn die Spur tatsächlich zu dem Mann führt, den ich suche, springt noch eine für Sie raus. Und jetzt bringen Sie mich zu Tommy dem Blinden, unserm Blütenmann.«
    Sie standen auf und zwängten sich an den Menschenmassen vorbei auf die Straße. Erst nach etwa zweihundert Metern wurde Monk bewußt, daß er den Mann mit seinem Namen angesprochen hatte; eine Woge der Erregung durchlief seinen Körper. Das war mehr als eine bloße Erinnerung, es war sein Wissen – es kehrte zurück! Er beschleunigte seine Schritte und stellte fest, daß er Evan überglücklich angrinste.
    Das Elendsquartier, in das Jake sie führte, war eine monströse Ansammlung faulender, nebeneinandergezwängter Wohnbaracken, die bedenklich krumm und schief aussahen. Das Holz hatte sich durch die Feuchtigkeit verzogen, Böden und Wände waren mehrmals an denselben Stellen ausgebessert. Trotz des frühen Sommerabends war es düster, und die klamme, nach menschlichen Ausscheidungen stinkende Luft schlug ihnen unangenehm kalt ins Gesicht. Die Rinnsteine in den engen Gassen quollen über vor Dreck. Im Hintergrund hörte man ein stetiges Quieken und Rascheln, das von den allgegenwärtigen Ratten stammte. Überall waren Menschen; sie kauerten in den Hauseingängen, lagen auf den Pflastersteinen, manchmal mehrere auf einem Haufen, manche davon lebendig, andere bereits an Unterernährung oder Seuchen gestorben. Typhus und Lungenentzündung waren ständige Begleiter, und die Geschlechtskrankheiten breiteten sich in ebenso rasantem Tempo aus wie die Fliegen und Läuse.
    Monks Blick fiel auf ein fünf bis sechsjähriges Kind, das im Rinnstein lag. Sein Gesicht war ein grauer, schrecklich abgehärmter Fleck in dem trüben Zwielicht; man konnte unmöglich sagen, ob es sich um ein Mädchen oder einen Jungen handelte. Monk dachte mit dumpfem Zorn, daß Greys Tod – egal auf welch bestialische Weise er auch erschlagen worden war – immer noch eine bessere Art war zu sterben als das jämmerliche Verenden dieses Kindes.
    Er schaute Evan an, dessen Gesicht wachsbleich in der Düsternis hervortrat; die Augen waren zwei dunkle Höhlen in seinem Kopf. Es gab nichts, das er ihm sagen konnte, nichts, das irgendwie geholfen hätte. Statt dessen streckte er eine Hand aus, um ihm kurz den Arm zu drücken – eine Vertraulichkeit, die ihm an einem solchen Ort des Schreckens vollkommen natürlich erschien.
    Sie folgten Jake durch eine Gasse nach der andern, dann eine Treppe hinauf, die bei jedem Schritt unter ihnen zusammenzubrechen drohte, bis er auf dem vorletzten Absatz schließlich stehenblieb. Seine Stimme klang sanft, als ließe das Elend um ihn herum selbst ihn nicht kalt; es war die Stimme eines Menschen, der den Tod in seiner Nähe spürt.
    »Noch ’n paar Stufen weiter, Mr. Monk, und Tommy der Blinde is gleich hinter der nächsten Tür rechts.«
    »Danke. Sie bekommen Ihre Guinee, wenn sich herausgestellt hat, daß er uns helfen kann.«
    Ein Grinsen spaltete Jakes Gesicht in zwei Teile.
    »Hab Sie schon, Mr. Monk.« Er hielt eine leuchtende Münze hoch. »Sie haben wohl gedacht, ich weiß nich mehr, wie’s geht,

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