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Das Gesicht des Fremden

Das Gesicht des Fremden

Titel: Das Gesicht des Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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abwenden. Wenn sie gesehen hätte, wie er in dem vor Dreck starrenden Raum stand und den Fälscher in die Zange nahm, würde sie ihm wahrscheinlich Hausverbot erteilen.
    Monk saß da und starrte zornig und verbittert an die Decke. Daß er am nächsten Tag dem Wucherer gegenüberstehen würde, der Joscelin Grey möglicherweise auf dem Gewissen hatte, war nur ein schwacher Trost. Er haßte die Seite der Welt, mit der er sich herumschlagen mußte. Er wollte auf der sauberen, auf der schönen Seite stehen, wo er als Gleicher unter Gleichen mit Leuten wie den Latterlys verkehren konnte. Ohne die Barrieren des Klassendenkens zwischen ihnen würde Charles ihn nicht herablassend behandeln, könnte er ein freundschaftliches Gespräch mit Imogen führen und sich ausgiebig mit Hester streiten. Es wäre ihm ein Vergnügen, dieser überheblichen jungen Frau einmal die Meinung zu sagen!
    Doch eben weil er die Rookeries so abgrundtief haßte, konnte er ihre Existenz nicht ignorieren. Er war dort gewesen, hatte die Verkommenheit und die Ausweglosigkeit der Verhältnisse kennengelernt, und das waren Eindrücke, die ihn nie wieder loslassen würden.
    Aber er könnte seine Wut wenigstens in sinnvollere Bahnen lenken und den brutalen, habgierigen Kerl ausfindig machen, der einen Killer angeheuert hatte, um Joscelin Grey erschlagen zu lassen. Dann wäre er in der Lage, seinen Frieden mit Grey zu schließen – und hätte Runcorn endgültig besiegt.

10
    Monk erteilte Evan den Auftrag, sämtliche Leihhäuser nach der Figur aus rosa Jade abzusuchen, und machte sich selbst auf den Weg zu Josiah Wigtight. Er fand die Adresse auf Anhieb; sie führte ihn in eine Seitenstraße der Mile End Road, knapp einen Kilometer östlich von Whitechapel. Das Haus war so schmal, daß es fast zwischen einer schäbigen Anwaltskanzlei und einem Ausbeutungsbetrieb unterging, in dessen schummriger Beleuchtung und verbrauchter Luft gehetzte Frauen achtzehn Stunden täglich für eine Handvoll Kleingeld Hemden nähten. Manche von ihnen hatten keine andere Wahl, als zusätzlich nachts auf die Straße zu gehen, um mit den schnell verdienten Silbermünzen Miete und Nahrungsmittel zahlen zu können. Einige waren die Ehefrauen oder Töchter mittelloser, trunksüchtiger oder einfach nichtsnutziger Männer, viele hatten früher in einem Privathaushalt gearbeitet und waren auf die eine oder andere Art »gefallen«: wegen ihres unverschämten Benehmens, ihrer Verlogenheit, ihrer lockeren Moral, weil die Hausherrin sie zu hochnäsig oder der Hausherr sie zu anziehend gefunden hatte. Meistens waren sie irgendwann schwanger geworden und aus diesem Grund nicht nur unmöglich weiterzubeschäftigen, sondern eine Schande und eine Beleidigung für die ganze Familie.
    Die Rolläden von Wigtights Büro waren heruntergelassen, so daß der Raum im Halbdunkel lag; es roch nach Möbelpolitur, Staub und altem Leder. Auf einem hohen Hocker thronte ein schwarz gekleideter Sekretär. Als Monk hereinkam, hob er den Kopf.
    »Guten Morgen, Sir. Können wir etwas für Sie tun?« Seine Stimme war weich wie Schlamm. »Haben Sie ein kleines Problem?« Er rieb sich die Hände, als wäre ihm trotz der Jahreszeit kalt. »Ein vorübergehendes Problem, selbstverständlich?« Seine Scheinheiligkeit schien ihn zu amüsieren; er lächelte.
    »Das hoffe ich doch«, Monk lächelte zurück.
    Der Mann verstand seinen Job. Er beobachtete Monk wachsam, jedoch ohne die Nervosität, die dieser gemeinhin auslöste. Sein Gesicht war ausdruckslos. Monk sah ein, daß er zu plump vorgegangen war. Sicher hatte er früher mehr Einfühlungsvermögen bewiesen und sich den Gegebenheiten besser angepaßt.
    »Das hängt zum Großteil von Ihnen ab«, fügte er hinzu, um den Mann zu ermuntern und eventuell entstandenes Mißtrauen zu beseitigen.
    »Wie wahr, wie wahr«, bestätigte der Sekretär. »Genau das ist unsere Aufgabe: einem Gentleman aus einem vorübergehenden finanziellen Engpaß zu helfen. Sie verstehen, daß es gewisse Bedingungen gibt?« Er zog ein blütenweißes Blatt Papier hervor und setzte den Füllhalter an. »Dürfte ich um einige Details bitten, Sir?«
    »Mein Problem ist nicht, daß ich knapp bei Kasse bin«, erwiderte Monk, nun kaum noch lächelnd. Er verabscheute Kredithaie; er verabscheute die Wonne, mit der sie ihr widerwärtiges Gewerbe betrieben. »Jedenfalls nicht so sehr, daß es mich zu Ihnen treiben würde. Ich habe etwas Geschäftliches mit Mr. Wigtight zu besprechen.«
    »Aber natürlich.« Der

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