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Das Gesicht des Fremden

Das Gesicht des Fremden

Titel: Das Gesicht des Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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umbringen? Das wäre doch bescheuert – vollkommen verrückt! Die Kerle hätten mich für den Rest meiner Tage in der Hand. Die würden mich ausziehen bis aufs letzte Hemd – oder mich an den Galgen bringen!«
    Monk starrte ihn an. Langsam dämmerte ihm die Stichhaltigkeit von Wigtights Worten. Der Mann mochte ein Schmarotzer sein, aber er war kein Idiot. Er hätte niemals einen dermaßen unprofessionellen Helfershelfer angeheuert, um einen Mann wegen seiner Schulden aus dem Weg räumen zu lassen, egal um welche Summe es ging. Wenn ihm tatsächlich der Sinn nach Mord gestanden hätte, wäre er klüger und weniger spektakulär vorgegangen. Ein wenig Gewalt hätte nicht geschadet, doch nicht in diesem Ausmaß und nicht in Greys Wohnung.
    Außerdem war verständlich, daß er sichergehen wollte, keine Spuren bei Grey hinterlassen zu haben, einfach um Scherereien zu vermeiden.
    »Warum haben Sie so lang damit gewartet?« fragte Monk in nüchternem Tonfall, der keine Spur der vorherigen Leidenschaft mehr enthielt. »Warum sind Sie nicht gleich hingegangen, um den Schuldschein zu suchen?«
    Wigtight wußte, daß er gewonnen hatte, und dieses Wissen stand ihm groß und breit ins bleiche, glänzende Gesicht geschrieben. Er sah aus wie ein Frosch, der soeben einem schlammigen Tümpel entstiegen war.
    »Anfangs wimmelte es dort von Polizisten.« Er spreizte selbstgefällig die Hände. Monk hätte ihn zu gern einen Lügner genannt, aber das konnte er nicht – noch nicht. »Konnte niemand auftreiben, der bereit war, ein solches Risiko einzugehen«, fuhr Wigtight fort. »Zahl einem Kerl zu viel für einen Auftrag, und er fragt sich auf der Stelle, ob nicht mehr dahintersteckt, als du ihm verraten hast. Womöglich denkt er noch, du hast vor irgendwas Angst! Ihr Haufen hielt es zunächst für das Werk eines Einbrechers, aber das hat sich offenbar geändert. Sie stellen Fragen über seine Einkünfte, über Geschäfte –«
    »Wie kommen Sie darauf?« Monk glaubte ihm, es blieb ihm gar nichts anderes übrig, aber er wollte dem Mann soviel Unbehagen wie möglich bereiten.
    »Man hört so verschiedenes. Sie waren bei seinem Schneider, in seiner Weinhandlung, haben sich erkundigt, ob er auch brav bezahlt hat.«
    Monk erinnerte sich, Evan mit diesen Nachforschungen beauftragt zu haben. Anscheinend hatte der Wucherer überall Augen und Ohren, die für ihn aufpaßten. Im Grunde war das vorauszusehen gewesen; auf diese Weise kam er an seine Kunden, so fand er ihre Schwachpunkte heraus und wußte, wie er sie anzupacken hatte. Gott, wie er sich vor diesem Schwein und seinesgleichen ekelte!
    »Oh.« Ohne daß er es wollte, gab Monks Gesicht seine Niederlage preis. »Ich werde meine Ermittlungen wohl etwas diskreter durchführen müssen.«
    Wigtight lächelte kalt.
    »Ich an Ihrer Stelle würde mir nicht weiter den Kopf darüber zerbrechen. Es ändert sowieso nichts mehr.« Für ihn war Erfolg nichts Neues; den gleichen Genuß empfand er bei einem reifen Stilton-Käse und einem Gläschen Portwein nach dem Essen.
    Es gab nichts weiter zu sagen, zudem konnte Monk Wigtights Genugtuung nicht länger verkraften. Er ging und ließ ihn und seinen Speichellecker, den Sekretär, allein, aber er war wild entschlossen, Josiah Wigtight bei der erstbesten Gelegenheit etwas anzuhängen – vorzugsweise etwas, das ihm ein ausgiebiges Studium der Gefängnistretmühle ermöglichen würde. Vielleicht war sein Haß auf jede Form von Wucher und das dadurch verursachte Leid, das den Betroffenen die Seele auffraß, für diesen Rachedurst verantwortlich, vielleicht war es Wigtight selbst mit seinem fetten Bauch und seinen kalten Augen; höchstwahrscheinlich lag es jedoch an der herben Enttäuschung, daß es nicht der Kredithai gewesen war, der Joscelin Grey auf dem Gewissen hatte.
    Dieser Fehlschlag brachte ihn in die altvertraute Einbahnstraße zurück, die ihn zu Joscelin Greys Freunden führte, zu den Menschen, über die er etwas Anstößiges gewußt haben könnte. Er sah sich von neuem mit der Shelburne-Theorie und Runcorns Triumph konfrontiert.
    Doch bevor er diesen Weg mit seinen unausweichlichen Endpunkten einschlug – entweder Shelburnes Festnahme und sein eigener Ruin oder das Eingeständnis, daß er versagt hatte, und Runcorns Siegesgeheul –, wollte er den anderen, wenn auch schwachen Spuren nachgehen. Eine davon begann bei Charles Latterly.
    Er hielt den frühen Abend für einen Besuch am besten geeignet. Imogen würde zu Hause sein, und es war eine

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