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Das Gesicht des Fremden

Das Gesicht des Fremden

Titel: Das Gesicht des Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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angemessene Zeit, um Charles um Audienz zu bitten.
    Man empfing ihn mit zurückhaltender Höflichkeit. Das Stubenmädchen war zu gut geschult, um sich ein Erstaunen anmerken zu lassen. Er mußte nur wenige Minuten warten, bis man ihn in den Salon führte, dessen unaufdringliche Behaglichkeit ihn sofort in ihren Bann schlug.
    Charles stand neben einem kleinen Tisch im Erker.
    »Guten Tag, Mr. – äh – Monk«, sagte er hörbar frostig.
    »Welchem Umstand haben wir zu verdanken, daß Sie uns noch einmal beehren?«
    Monk spürte, wie ihn der Mut verließ. Es kam ihm so vor, als würde der Gestank der Rookeries noch an ihm haften. Wahrscheinlich war offensichtlich, was für ein Mensch er war, wo er arbeitete, womit er zu tun hatte – und das schon immer. Er hatte es nur nicht gemerkt, weil er zu sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen war.
    »Ich untersuche nach wie vor den Mord an Joscelin Grey«, gab er etwas gestelzt zurück. Er war sich Imogens und Hesters Anwesenheit bewußt, vermied aber, sie anzusehen. Statt dessen machte er eine leichte Verbeugung, ohne den Blick zu heben, in ihre Richtung.
    »Wäre es dann nicht langsam an der Zeit, zu irgendeinem Ergebnis zu kommen?« Charles wölbte die Brauen. »Natürlich bedauern wir seinen Tod, schließlich war er ein Bekannter von uns, aber wir brauchen keinen täglichen Report über Ihre Fortschritte – beziehungsweise den Mangel daran.«
    »Das trifft sich gut«, erwiderte Monk bissig. Er war gekränkt und sich schmerzlich bewußt, daß er nie in diesen leicht verwohnten, behaglichen Raum mit seinen Polstermöbeln und dem glänzenden Walnußholz gehören würde. »Ich könnte mir so etwas nicht leisten. Der Grund für meinen Besuch ist die Tatsache, daß Sie Major Grey kannten.« Er schluckte. »Wir haben uns zunächst mit den Möglichkeiten befaßt, daß sein Mörder ein Gelegenheitsdieb war oder jemand, dem er Geld schuldete, entweder aufgrund von Spielschulden oder eines Kredits. Diese Theorien sind inzwischen erschöpft, so daß wir uns erneut an dem Punkt befinden, der sich – bedauerlicherweise – immer wieder als der wahrscheinlichste –«
    »Anscheinend habe ich mich nicht verständlich genug ausgedrückt, Mr. Monk«, unterbrach ihn Charles scharf. »Es interessiert uns nicht! Und ich möchte meiner Frau und meiner Schwester nicht zumuten, sich solche Dinge anhören zu müssen. Die Frauen Ihrer« – er suchte ein Wort, das am wenigsten beleidigend klang –, »Ihrer Kreise mögen an Brutalität und Gewalt gewöhnt sein, aber meine Frau und meine Schwester sind Damen der Gesellschaft und wissen nicht das geringste darüber. Ich muß Sie bitten, Rücksicht auf ihre Gefühle zu nehmen!«
    Monk spürte, wie seine Wangen brannten. Er hätte gern eine gebührend unverschämte Bemerkung zurückgegeben, doch die Gewißheit, daß Imogen Latterly kaum mehr als einen Meter neben ihm stand, hielt ihn zurück. Was Hester von ihm dachte, war ihm egal: Im Grunde genommen hätte es ihm Spaß gemacht, sich auf einen erfrischenden Streit mit ihr einzulassen, was vermutlich genauso belebend gewesen wäre wie eine Handvoll eiskaltes Wasser ins Gesicht.
    »Es war nicht meine Absicht, irgend jemand unnötig zu quälen, Sir.« Mühsam preßte er die Worte hervor. »Außerdem bin ich nicht gekommen, um Sie zu informieren, sondern um mir von Ihnen einige Fragen beantworten zu lassen. Ich habe versucht, Ihnen den Grund dafür verständlich zu machen, damit Ihnen die Antworten eventuell leichter fallen.«
    Charles schaute ihn aus zusammengekniffenen Augen an. Er lehnte inzwischen am Kaminsims und wurde augenblicklich steif wie ein Stock.
    »Weder ich noch der Rest meiner Familie weiß auch nur das geringste zu diesem Thema zu sagen.«
    »Sonst hätten wir es Ihnen bestimmt erzählt«, fügte Imogen hinzu. Einen Moment lang hatte Monk den Eindruck, sie würde sich für das herablassende Benehmen ihres Mannes schämen.
    Hester stand auf, marschierte quer durch den Raum und blieb gegenüber von Monk stehen.
    »Bis jetzt sind uns noch keine Fragen gestellt worden«, appellierte sie an Charles’ Vernunft. »Woher sollen wir also wissen, daß wir sie nicht beantworten können? Ich kann zwar nicht für Imogen sprechen, aber was mich betrifft, habe ich damit keinerlei Probleme. Wenn du in der Lage bist, über den Mord nachzudenken, bin ich es auch. Es ist sogar unsere Pflicht!«
    »Hester, meine Liebe – du weißt nicht, wovon du sprichst.« Mit angespanntem Gesicht streckte Charles

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