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Das Gesicht des Fremden

Das Gesicht des Fremden

Titel: Das Gesicht des Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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werden! Was sollen wir dieser – dieser Ladyschaft sagen?«
    Monk atmete tief durch. Runcorns Anspielung auf ihn selbst setzte ihm wesentlich mehr zu als alles, was in dem Brief stand. War er tatsächlich so anmaßend ehrgeizig? Leider blieb ihm nicht die Zeit, sich zu verteidigen; Runcorn hatte sich vor ihm aufgebaut und verlangte eine Antwort.
    »Lamb hat die gesamte Basisarbeit erledigt, Sir.« Der Mann hatte wirklich ein bißchen Lob verdient. »Er hat getan, was er konnte, die übrigen Hausbewohner, die Straßenhändler, die Leute in der Gegend befragt – jeden, der etwas gehört oder gesehen haben könnte.« Obwohl Monk Runcorn deutlich ansah, daß ihn seine Ausführungen keineswegs zufriedenstellten, ließ er sich nicht davon abbringen. »Unglücklicherweise war an jenem Abend besonders scheußliches Wetter, so daß die Leute mit hochgeschlagenem Kragen und eingezogenem Kopf unterwegs waren. Wegen des Regens trieb sich niemand länger als nötig auf den Straßen herum, und wegen der starken Bewölkung wurde es früher dunkel als gewöhnlich.«
    Runcorn wurde vor Ungeduld immer zappeliger.
    »Lamb verbrachte viel Zeit damit, die uns bekannten Bösewichte zu überprüfen. In seinem Bericht steht, daß er sich jeden einzelnen Spitzel und Informanten aus der Gegend um den Mecklenburg Square vorgenommen hat. Nichts. Kein Pieps. Niemand weiß etwas – oder wenn, dann rücken sie nicht damit raus. Lamb glaubte, daß sie die Wahrheit gesagt haben. Ich wüßte nicht, was er sonst noch hätte tun können.« Monk konnte zwar nicht aus seiner abhanden gekommenen Erfahrung sprechen, doch fiel ihm kein Versäumnis auf. Er stand voll und ganz auf Lambs Seite.
    »Constable Harrison stieß in einer Pfandleihe auf eine Uhr mit den Initialen J. G. – aber wir wissen nicht, ob sie Grey gehört hat.«
    »In der Tat«, bestätigte Runcorn grimmig und fuhr mit dem Zeigefinger über den hübsch gesägten Rand des Briefbogens; einen solchen Luxus konnte er sich nicht leisten. »Sie wissen es nicht! Was wollen Sie also unternehmen? Fahren Sie damit nach Shelburne Hall – lassen Sie sie identifizieren.«
    »Harrison ist bereits unterwegs.«
    »Konnten Sie wenigstens rauskriegen, wie der Mistkerl reingekommen ist?«
    »Ich denke schon«, erwiderte Monk gemessen. »Einer der Hausbewohner, ein gewisser Mr. Yeats, bekam am fraglichen Abend Besuch. Er kam um neun Uhr fünfundvierzig und ging gegen halb elfein kräftiger, dunkelhaariger Mann, gut vermummt. Er kommt als einziger in Frage, die restlichen Besucher waren Frauen. Ich möchte mich nicht zu vorschnellen Schlüssen hinreißen lassen, aber alles weist daraufhin, daß er der Mörder ist. Ansonsten wüßte ich nicht, wie ein Fremder ins Haus gelangt sein könnte. Grimwade schließt um Mitternacht die Haustür ab – wenn alle Bewohner anwesend sind, auch früher –, danach müssen selbst sie läuten, damit er sie reinläßt.«
    Runcorn legte den Brief vorsichtig auf Monks Schreibtisch.
    »Und wann hat er an jenem Abend abgeschlossen?«
    »Um elf. Alle waren zu Hause.«
    »Was weiß Lamb über den Mann, der bei Yeats war?« Runcorn verzog das Gesicht.
    »Nicht viel. Er hat anscheinend nur einmal mit Yeats gesprochen und sich dann darauf konzentriert, etwas über Grey in Erfahrung zu bringen. Vielleicht ist ihm zu der Zeit die Bedeutung dieses Besuchers nicht ganz klargewesen. Grimwade sagte, er hätte ihn zu Yeats’ Wohnung gebracht und Yeats hätte ihn hereingelassen. Lamb war damals auf der Suche nach einem Einbrecher –«
    »Damals!« Runcorn stürzte sich wie besessen auf das eine Wort. »Und wonach suchen Sie jetzt?«
    Monk begriff plötzlich, was er gesagt hatte und daß er es tatsächlich so meinte. Er runzelte die Stirn und wählte die nächsten Worte so vorsichtig wie möglich.
    »Ich denke, ich suche jemand, der Grey kannte – und der ihn haßte; jemand, der ihn tot sehen wollte.«
    »Lassen Sie das um Himmels willen nicht unsre ehrenwerte Lady Shelburne hören!« sagte Runcorn drohend.
    »Es ist wohl ziemlich unwahrscheinlich, daß ich je ein Wort mit ihr wechseln werde«, gab Monk mit mehr als einer Spur Sarkasmus zurück.
    »Oh, und ob Sie werden!« Runcorns Stimme barst vor Triumph; sein großes, rotes Gesicht begann fast zu leuchten.
    »Sie begeben sich noch heute nach Shelburne Hall, um Ihrer Ladyschaft zu versichern, daß wir alles Menschenmögliche unternehmen, um den Mörder zu fassen, und daß wir nach unendlichen Mühen und dank unsrer brillanten Arbeit

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