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Das Gesicht des Fremden

Das Gesicht des Fremden

Titel: Das Gesicht des Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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auf das Wesentliche zu konzentrieren – für den recht unwahrscheinlichen Fall, daß so etwas überhaupt existiert. Er will wissen, ob Joscelin jemand gekränkt haben könnte, irgendwem Geld schuldete – der Himmel weiß, was noch!«
    In Rosamonds Zügen spielte sich eine derart schwache Veränderung ab, daß diese leicht auf einen Wechsel der Lichtverhältnisse hätte zurückgeführt werden können, wäre der Himmel vor den Fenstern nicht von ungetrübtem, wolkenlosem Blau gewesen. Sie sah plötzlich müde aus.
    »Ich weiß, daß Joscelins hin und wieder finanzielle Schwierigkeiten hatte«, erwiderte sie ruhig, »aber Genaueres ist mir nicht bekannt, ebensowenig ob oder wem er Geld schuldete.«
    »Er hätte solche Dinge wohl kaum mit meiner Frau besprochen!« Jetzt wirbelte Lovel endgültig herum. »Falls er etwas hätte borgen wollen, hätte er sich an mich gewendet, aber dazu war er viel zu klug. Er bekam nämlich bereits einen ausgesprochen großzügigen Zuschuß.«
    Monk ließ seinen Blick fassungslos über das prachtvolle Zimmer, die gerafften Samtvorhänge und die dahinterliegende Parklandschaft gleiten und versagte sich eine Bemerkung zum Thema Großzügigkeit. Seine Augen hefteten sich wieder auf Rosamund.
    »Sie haben ihm niemals unter die Arme gegriffen, Ma’am?« Rosamond zögerte.
    »Womit, zum Beispiel?« wollte Lovel wissen und hob die Brauen.
    »Mit einem Geschenk etwa?« schlug Monk vor; er bemühte sich nach Kräften, taktvoll zu bleiben. »Ein kleines Darlehen vielleicht, um einen unerwarteten Engpaß zu überbrücken?«
    »Ich kann mir nur vorstellen, daß Sie böses Blut schaffen wollen«, rief Lovel erbost. »Eine unglaubliche Frechheit ist das! Wenn Sie nicht damit aufhören, werde ich dafür sorgen, daß man Ihnen den Fall wegnimmt!«
    Monk war bestürzt; er hatte nicht vorgehabt, irgendwen zu beleidigen, er wollte die Wahrheit ans Licht bringen. Solche Überempfindlichkeiten taten nun gar nichts zur Sache, außerdem fand er es albern, jetzt darauf Rücksicht zu nehmen.
    Lovel bemerkte seine Verdrossenheit und interpretierte sie fälschlicherweise als Begriffsstutzigkeit. »Eine verheiratete Frau besitzt nichts, das sie geben könnte, Mr. Monk – ob nun ihrem Schwager oder sonst wem.«
    Monk wurde rot – zum einen, weil er einen Narren aus sich gemacht hatte, zum andern wegen Shelburnes herablassender Art. Natürlich kannte er das Gesetz – jetzt, wo man ihn darauf gestoßen hatte. Selbst Rosamonds eigener Schmuck gehörte ihr rechtlich gesehen nicht. Sollte Lovel ihr verbieten, ihn zu verschenken, durfte sie es nicht tun – was Monk allerdings keine Sekunde daran zweifeln ließ, daß genau das passiert war. Ihr plötzliches Verstummen und das Flackern in ihren Augen hatten sie eindeutig verraten.
    Da er sie nicht in Schwierigkeiten bringen wollte, verkniff er sich die Antwort, die er gern gegeben hätte. Was er wußte, reichte ihm.
    »Ich hatte nicht die Absicht anzudeuten, es wäre irgend etwas ohne Ihr Einverständnis geschehen, Mylord, ich meinte lediglich eine freundschaftliche Geste von Lady Shelburnes Seite.«
    Lovel öffnete den Mund, als wolle er etwas entgegnen, besann sich eines Besseren und sah wieder aus dem Fenster; sein Gesicht war hart, die breiten Schultern steif.
    »Hat der Krieg Major Grey sehr zugesetzt?« wandte sich Monk wieder an Rosamond.
    »O ja!« Einen Moment lang schien sie von ihren Gefühlen überwältigt zu werden, wurde sich dann aber ihrer Umgebung bewußt und rang mühsam um Beherrschung. Wäre sie nicht so hervorragend geschult gewesen, was die Rechte und Pflichten einer Frau ihres Standes anbelangte, hätte sie vermutlich geweint. »Ja«, wiederholte sie. »Obwohl er seinen Kummer ungeheuer tapfer gemeistert hat. Es ist erst wenige Monate her, daß er allmählich anfing, wieder der alte zu sein – wenigstens die meiste Zeit über. Er spielte wieder Klavier und sang uns manchmal etwas vor.« Ihre Augen sahen durch Monk hindurch, auf einen Ort tief in ihren eigenen Erinnerungen. »Er gab immer noch lustige Geschichten zum besten und brachte uns damit zum Lachen, aber es gab Zeiten, da dachte er an die Männer, die im Krieg umgekommen waren, und wahrscheinlich auch an sein eigenes Leid.«
    Joscelin Grey nahm langsam konkretere Formen an: ein flotter junger Offizier, ungezwungen und unkompliziert, vielleicht eine Spur unreif. Dann, nach den furchtbaren Kriegserfahrungen und der für ihn vollkommen ungewohnten Verantwortung, die Rückkehr nach Hause mit

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