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Das Gesicht des Fremden

Das Gesicht des Fremden

Titel: Das Gesicht des Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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ich es wissen. Genau wie den Grund.«
    »Es ist die Wahrheit«, entgegnete er schlicht. »Ich hatte vor ungefähr sieben Wochen einen Unfall. Die Kutsche, in der ich saß, überschlug sich; ich brach mir einen Arm und ein paar Rippen und holte mir eine Platzwunde am Kopf; an den Unfall selbst erinnere ich mich nicht. Fast einen Monat lang lag ich im Krankenhaus, dann bin ich zu meiner Schwester gefahren, um mich zu erholen. Seit damals habe ich mich nicht mehr um den Fall gekümmert.«
    »Sie Ärmster!« In ihrem Gesicht spiegelte sich tiefe Besorgnis. »Das ist ja furchtbar. Fühlen Sie sich denn jetzt wieder gut? Sind Sie sicher, daß es Ihnen besser geht?«
    Das klang ganz so, als meinte sie es wirklich ernst. Monk stellte fest, daß ihm warm ums Herz wurde. Gewaltsam schob er den Gedanken beiseite, sie könnte lediglich ein mitfühlender oder auch nur guterzogener Mensch sein.
    »Jaja, danke. Ich habe nur ein paar kleine Gedächtnislücken.« Weswegen hatte er das gesagt? Um sein Benehmen zu rechtfertigen, für den Fall, daß er sie gekränkt haben sollte? Er bildete sich zuviel ein! Warum sollte ihr Interesse an ihm über bloße Höflichkeit hinausgehen? Er dachte plötzlich wieder an Sonntag; auch da hatte sie Schwarz getragen, sündhaft teure, elegante, schwarze Seide, und der Mann in ihrer Begleitung hatte Sachen angehabt, die er sich im Traum nicht leisten konnte. Ihr Ehemann? Die Vorstellung war ausgesprochen deprimierend, geradezu schmerzhaft. Die andere Frau kam ihm gar nicht in den Sinn.
    »Oh.« Sie war von neuem um Worte verlegen.
    Monk versuchte sich in dem Irrgarten seiner Empfindungen zurechtzufinden, während er sich ihrer Gegenwart ständig in aller Schärfe bewußt war; er glaubte sogar, den Duft ihres Parfüms wahrzunehmen, obwohl sie einige Meter weit weg stand. War auch das pure Einbildung?
    »Was war denn das letzte, was ich Ihnen gesagt habe? Ich meine –« Was er meinte, wußte er nicht.
    Sie aber antwortete fast ohne die kleinste Verzögerung.
    »Nicht viel. Sie sagten, Papa hätte mit Sicherheit herausgefunden, daß das Geschäft ein Schwindel war – daß Sie aber noch nicht wüßten, ob er die restlichen Partner bereits zur Rede gestellt hätte. Irgendwen – seinen Namen haben sie mir nicht verraten – hätten Sie bereits mehrfach aufgesucht, dafür wäre ein Mr. Robinson allerdings jedesmal unauffindbar, wenn Sie sich um ihn bemühen würden.« Ihr Gesicht wurde hart. »Sie wußten nicht, ob Papa von den anderen ermordet worden war, um ihn zum Schweigen zu bringen, oder ob er sich aus Scham das Leben genommen hatte. Vielleicht war es falsch von mir, Sie um Hilfe zu bitten. Ich fand den Gedanken so furchtbar, er könnte sich eher für die zweite Möglichkeit entschieden haben als dafür, den andern den Kampf anzusagen. Es ist doch kein Verbrechen, betrogen zu werden!« Trotz des angestrengten Versuchs, sich zu beherrschen, konnte sie einen gewissen Zorn nicht verbergen. »Ich wollte unbedingt glauben, daß er am Leben geblieben wäre und es mit ihnen aufgenommen hätte, daß er sich eher seinen Freunden stellen würde – auch denen, die tatsächlich Geld verloren hatten – als… als –« Hätte sie weitergesprochen, wäre sie in Tränen ausgebrochen. Statt dessen stand sie einfach reglos da und schluckte schwer.
    »Es tut mir sehr leid für Sie«, sagte Monk vollkommen ruhig. Er hätte sie gern berührt, war sich jedoch der Kluft zwischen ihnen schmerzhaft bewußt. Eine solche Geste wäre viel zu vertraulich gewesen und hätte unweigerlich die Intimität des Augenblicks, diese herrliche Illusion von Nähe, zerstört.
    Sie verharrte noch einen Moment, als warte sie auf etwas, das ohnehin nicht eintreffen würde. Dann gab sie es schließlich auf.
    »Ich danke Ihnen. Ich bin sicher, Sie haben getan, was in Ihrer Macht stand. Vielleicht habe ich die Dinge nur so gesehen, wie ich sie sehen wollte.«
    Im vorderen Teil des Seitenschiffs, in der Nähe der Tür, bewegte sich etwas. Der Pfarrer kam mit ausdrucksloser Miene auf sie zu, gefolgt von der Frau mit dem bemerkenswert eigenwilligen Gesicht, die Monk bereits am Sonntag aufgefallen war. Sie trug auch diesmal schlichte, schwarze Kleidung; das kräftige, nur leicht gewellte Haar war eher zweckmäßig als modisch frisiert.
    »Sind Sie das, Mrs. Latterly?« rief der Vikar unsicher, während er blinzelnd ins Halbdunkel spähte. »Wirklich, meine Liebe! Was tun Sie denn hier so allein? Es ist nicht gut, wenn Sie grübeln. Oh!« Er hatte

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