Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Gesicht des Fremden

Das Gesicht des Fremden

Titel: Das Gesicht des Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
Vom Netzwerk:
ungemütlicher, bevor es besser werden kann. Sie mögen von den oberen Klassen angetan sein, mein Freund, aber wenn’s darum geht, die eigenen Angehörigen zu schützen, greifen die zu den schmutzigsten Mitteln, die man sich nur denken kann, das dürfen Sie mir ruhig glauben!«
    Monk wußte nichts darauf zu erwidern. Er fragte sich wieder, weshalb Runcorn so gegen ihn aufgebracht war. War ihm früher auch jedes Mittel recht gewesen, um gesellschaftlich aufzusteigen? Die Vorstellung, sich für etwas auszugeben, was man nicht ist, nur um bei Leuten Eindruck zu schinden, die sich nicht im mindesten um einen scherten und mit ziemlicher Sicherheit bereits über die wahre Herkunft Bescheid wußten, ehe man überhaupt den Mund auftat, war abstoßend, auf gewisse Weise sogar bemitleidenswert.
    Versuchte andererseits nicht jeder, seine Position zu verbessern, wenn sich ihm die Gelegenheit bot?
    Runcorn starrte ihn voll Ungeduld an.
    »Na, was haben. Sie dazu zu sagen?« fragte er unwirsch.
    »Jawohl, Sir. Ganz Ihrer Meinung.« Monk hatte sich wieder im Griff. »Wir könnten tatsächlich auf etwas ausgesprochen Schmutziges stoßen. Man muß einen Menschen schon sehr hassen, um ihn auf die Art totschlagen zu können, wie es Grey widerfuhr. Falls die Familie in die Geschichte verwickelt ist, wird sie garantiert alles daransetzen, es zu vertuschen. Der älteste Sohn, unser gegenwärtiger Lord Shelburne, war auch gar nicht erbaut von meiner Idee, die Zusammenhänge dahingehend zu erforschen. Er tat sein Bestes, mich auf die Theorie zurückzubringen, der Mörder sei ein Gelegenheitsdieb oder ein Psychopath.«
    »Und Ihre Ladyschaft?«
    »Sie will, daß wir weitermachen.«
    »Dann hat sie aber Glück, was?« Runcorn nickte; sein Mund war zu einer merkwürdigen Grimasse verzogen. »Weil Sie haargenau das tun werden!«
    Monk begriff, daß er entlassen war.
    »Jawohl, Sir. Ich fange mit Yeats an.« Er entschuldigte sich und ging in sein eigenes Büro.
    Evan saß emsig vor sich hin kritzelnd am Schreibtisch. Bei Monks Eintreten schaute er mit einem kurzen Lächeln auf. Monk seinerseits war unbeschreiblich glücklich, ihn zu sehen. Er merkte plötzlich, daß er Evan bereits mehr als Freund denn als Kollegen betrachtete.
    »Wie war’s in Shelburne?«
    »Außerordentlich entzückend – und außerordentlich steif. Und Yeats?«
    »Ausgesprochen achtbar.« Evans Mund kräuselte sich flüchtig vor unterdrückter Belustigung. »Und ausgesprochen mittelmäßig. Niemand hat etwas zu seinen Ungunsten zu sagen. Genaugenommen hat niemand überhaupt viel zu sagen; man hat Schwierigkeiten, sich exakt an ihn zu erinnern.«
    Monk verbannte Yeats aus seinen Gedanken und kam auf ein Thema zu sprechen, das ihm mehr am Herzen lag.
    »Runcorn scheint zu glauben, daß das Ganze noch ziemlich unangenehm wird. Er erwartet eine ganze Menge von uns –«
    »Klar.« Evan sah ihm offen ins Gesicht. »Deshalb hat er Sie ja auf den Fall angesetzt, obwohl Sie gerade erst aus dem Krankenhaus raus waren. Es wird immer brenzlig, wenn wir mit dem Adel zu tun haben. Lassen Sie’s uns ruhig beim Namen nennen: Ein Polizist wird für gewöhnlich behandelt, als hätte er den gleichen gesellschaftlichen Rang wie ein Dienstmädchen – wie jemand, den man genausogern in seiner Nähe hat wie eine Sickergrube. In einer unvollkommenen Welt zwar ein notwendiges Übel, in einem feinen Salon allerdings völlig fehl am Platz.«
    Bei einer anderen Gelegenheit hätte Monk gelacht, doch momentan war er viel zu betroffen.
    »Warum ich?« bestürmte er Evan.
    Der war zutiefst verwirrt. Er überspielte, was wie Verlegenheit aussehen mußte, mit Förmlichkeit.
    »Sir?«
    »Warum ich?« wiederholte Monk eine Spur schärfer. Er hörte selbst, daß seine Stimme ein paar Töne hinaufging, war jedoch außerstande, es zu verhindern.
    Evan schlug peinlich berührt die Augen nieder.
    »Wollen Sie eine ehrliche Antwort von mir – obwohl Sie’s eigentlich genau wissen müßten?«
    »Ja, das will ich! Also bitte.«
    Evan schaute ihn mit brennenden Augen an. »Weil Sie der beste Mann im ganzen Revier sind – und der ehrgeizigste. Weil Sie wissen, wie man sich kleidet und wie man sich ausdrückt. Wenn jemand den Shelburnes gewachsen ist, dann Sie.« Er verstummte, biß sich auf die Lippe und fuhr dann jäh fort: »Und falls Sie doch scheitern sollten – entweder weil Sie das Ganze verpfuschen und den Mörder nicht zu fassen kriegen oder Ihrer Ladyschaft blöd kommen und sie sich über Sie

Weitere Kostenlose Bücher