Das Gesicht des Teufels
leidet, dir deine Seele nicht leicht machen zu können?» Kämpferisch stemmte Ursula die Arme in die Seite. Die Stadtmauer und der hohe Röderturm erhoben sich vor ihnen. Das Fenster der Türmerwohnung stand offen, zwei Apfelbutzen flogen heraus. Neben der Rothenburger Fahne bauschte sich noch eine große weiße Fahne, die zum Teil die Farben des Regenbogens trug – eine Fahne, die weder Ursula nochHanna jemals gesehen hatten. Hanna riss erschrocken den Mund auf, Ursula jedoch fuhr mit ihrer Strafpredigt fort. «Himmel, versetze dich einmal in seine Lage: Erst hat er zusehen müssen … und jetzt quält er sich, dass eigentlich alles umsonst war. Seine Mutter und seine Schwester hingegen tun so, als sei gar nichts geschehen. Nun, es tut ihnen schon auch leid, aber darüber nachzudenken … nein, wie schrecklich. Das tut nämlich weh und passt gar nicht zu ihrem hohen Stand. Was werden sie also tun? Dich zermürben, bis du freiwillig gehst, deswegen stand ja auch diese Frederike plötzlich vor der Tür. Lass dir deinen Ritter nicht fortreden, Hanna. Männer nämlich sind schwach, vor allem, wenn man ihnen mit Worten zusetzt. Deswegen lieben sie ja die stummen Waffen so sehr, weil sie sich dann endlich stark fühlen können.»
Hanna nickte, doch sie wirkte, als habe sie nicht zugehört. Statt Ursula anzuschauen, starrte sie die weiße Fahne an, in die gerade ein Windstoß fuhr und sie für einen kurzen Moment straffte. Ihr Atem ging schwer, und obwohl sie gerade noch geschwitzt hatte, erfasste sie ein Frösteln.
«Was ist, hat die Fahne eine Bedeutung? Oder die Sprüche darauf? Du kannst doch lesen, oder? Was steht da?»
«Verbum domini maneat in aeternum. Das ist Latein. Was es heißt … ich weiß es nicht genau. ‹Verbum› ist das Wort, ‹domini› irgendetwas mit ‹vom Herrn›, und ‹aeternum›, glaube ich, bedeutet Ewigkeit.»
«Das Wort des Herrn bleibt in Ewigkeit?»
«Ja, das ist es.» Hanna flüsterte nur noch. Ihr Gesicht war maskenhaft starr. «Und der andere Spruch lautet: Dies ist das Zeichen des ewigen Bundes Gottes.»
«Was ist so schlimm daran?»
«Meine Gesichte, Ursula, verstehst du?» Verängstigt schaute Hanna Ursula an. «Die Vision nach der Feuerprobe,da hörte ich diese Worte. Ich wusste sie einfach. Und die Fahne mit dem Regenbogen habe ich damals auch gesehen.» Hanna schlug sich die Hände vors Gesicht.
«Ach, Liebes! Was glaubst du, was uns jetzt all diese grässlichen Gesichte nützen? Nichts.» Ursula umarmte Hanna und küsste sie auf die Stirn. «Lass uns unsere Arbeit tun und Kohle verkaufen. Sollen’s die Männer eben ausfechten. Du hast keinen Grund, Mitleid mit ihnen zu haben.»
An der Abzweigung zur Müllergasse krachte ein Rad ihres Karrens in ein Schlagloch. Die Kohlestämme kamen ins Rutschen, einer zerbrach. Ursula schimpfte, dass ihnen dies natürlich genau hier passieren müsse.
«Teufel nochmal, kein Wunder, dass ich Rothenburg nie etwas habe abgewinnen können.»
«Fluchen hilft auch nichts», sagte Hanna müde. «Los, auf drei.»
Sie zählte laut, doch selbst beim dritten Versuch bekamen sie den Karren nicht wieder frei. Das Loch war zu tief und die Kante des Pflastersteins, gegen die das Rad stieß, einfach zu hoch. Erschöpft schauten sie sich um. Ihre Finger waren vom Festhalten verkrampft, die Handinnenflächen glühten. Zum Glück kamen ein paar Mädchen angerannt, die sich von hinten gegen den Karren stemmten. Schon im zweiten Anlauf hatten sie Erfolg. Die Mädchen jubelten, doch da erhob sich auf der Höhe des Schwefelturms wüstes Geschrei. Eine Horde Jungen stürzte einem flügelschlagenden Hahn hinterher, gefolgt von einem Mann, der ein blitzendes Beil in seiner hocherhobenen Hand hielt.
«Ihr Bande, ich schlag euch den Kopf ab!» Der Mann tat in seiner Wut, als wolle er sein Beil wirklich auf einen der Jungenköpfe niedersausen lassen. Lachend stoben dieJungen auseinander, während der Hahn geradewegs auf Hanna zulief. «Haltet ihn!»
Doch es war zu spät. Der Hahn flatterte auf, als Hanna nach ihm haschte, schlug einen Haken und flüchtete in ein Gebüsch an der Stadtmauer. Hanna hörte eine Frau aufkreischen, als würde sie geschlagen. Neben ihr in einem Hausflur wurde gelacht. Der Mann mit dem Beil warf ihr einen bösen Blick zu, knurrte etwas und rannte auf das Gebüsch zu.
Plötzlich warf er sein Beil.
Der Hahn krakeelte, dann war es still. Triumphierend und halsunter wurde er Hanna und Ursula präsentiert. Sein Blut
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