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Das Gesicht des Teufels

Das Gesicht des Teufels

Titel: Das Gesicht des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kay Cordes
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entreißen. Der Mann war kräftig und zog die Frauen über den Hof, doch als zwei Nonnen den Laienschwestern zu Hilfe eilten und sich in das Messgewand verkrallten, ließ er plötzlich los.
    Kreischend purzelten die Frauen rücklings zu Boden. Der Glatzköpfige erging sich in obszönen Gesten und rief den anderen Plünderern zu, es gebe noch viel schöne Sachen in der Kirche: «Heiligenbilder, Altartücher, Messkelche! Himmel, welch ein Protz! Kommt, holen wir es uns!»
     
    Auf der anderen Seite der Stadt hatten sich die Menschen der Hofstatt erinnert: Gab es dort nicht auch Keller? In denen Käselaibe gestapelt waren, Zwiebel- und Knoblauchzöpfe von der Decke hingen, Karotten und Gurken in Sandschütten lagerten?
    Bis in Hannas Zelle drangen die Schlachtrufe der Plünderer. Der Hass auf die faulen Deutschherren brach sich Bahn. Scheiben und Flaschen gingen zu Bruch, Fassböden wurden eingeschlagen, Wein versickerte in der Erde.
    Plötzlich schrie eine Frau: «Was ist mit dem Weibersturm?»
    «Ja, der Weibersturm   … wo die Deutschherrn-Hure haust!»
    Hanna stockte der Atem. Sie war völlig schutzlos und der Hass der Menschen so groß wie ihre Gier.
    Sie werden mich schlagen   … tottrampeln.
    Sie hörte die Eisenmeisterin rufen, schreien, betteln, dann war sie still.
    Die Turmtür flog auf.
    Der Turm wird nicht mehr bewacht, durchfuhr es Hanna.
    Sie drückte sich in eine Ecke, hörte Schlüsselklirren. Die Zellentür schlug gegen die Wand, je zwei Frauen und Männer stürmten herein.
    «Da lebt sie wie die Made im Speck!»
    «Ja, so fein wie im Schloss, diese Herren-Hure!»
    Die Frau war jung und spargeldürr. Sie ohrfeigte Hanna, ihr Mann stieß ihr einen Fuß in die Rippen. Anschließend schlitzte er ihre Bettdecke auf. Daunen wirbelten durch die Zelle, Hanna hustete, so stickig war die Luft. Der Truhendeckel krachte gegen die Wand. Leibchen, Binden, Waschtücher, Nachthemden wurden herausgerissen, triumphierend ihre Kleider in die Höhe gehalten, während Kinder in die Zelle stürzten und sich um Honig und Butterwecken stritten.
    «So eine Süße bist du? Dann musst du nachspülen.»
    Der Mann baute sich breitbeinig vor ihr auf. Er nestelte an seinem Hosenlatz, streckte den Unterleib vor.
    Hanna hob schützend die Arme vors Gesicht. Alles ist besser als ein glühendes Hufeisen.
    Ihre Arme schnellten vor. «Schaut meine Hände an! Wie sie aussehen! Was sie leiden mussten! Ich bin eine von euch, eine Köhlerin. Helft mir lieber!»
    Der Mann zögerte, und Hanna blieb diese Erniedrigung erspart.
    «Lasst sie. Sie ist gut.» Die Eisenmeisterin schnaufte heran. Sie blutete aus der Nase, ihr Haar war zerzaust, die Haube fehlte. Die kleine Jenne hing greinend an ihrem Rockzipfel und wischte sich damit die Nase. «Sie lügt nicht. Sie ist wirklich eine von uns.»
    Hanna warf dem Mann flehende Blicke zu, dann streckte sie ihren Fuß aus.
    Die Eisenmeisterin wandte sich ab und zischte: «Los, du hast den Schlüssel. Mach schon.»
    Ein Ruck ging durch den Mann.
    «Ich war’s nicht.» Er bückte sich, schloss auf. Dann holte er aus und verpasste Hanna eine so gewaltige Ohrfeige, dass sie Sterne sah. Ihre Lippe platzte auf, und sie schmeckte Blut. «Sonst wär’s aufgefallen, verstehst du?»
    Die Eisenmeisterin half Hanna auf.
    Hanna wankte zur Tür, ihre Knie zitterten auf der Treppe. Als sie die Turmtür aufzog, schrie sie auf, so grell stach ihr das Licht in die Augen. Doch dann begann sie zu laufen. Erst torkelnd und langsam, dann immer schneller.
    Wohin, wusste sie nicht.
    Zum Glück fiel ihr ein, dass sie noch etwas Geld bei sich hatte.

48
    Wie einfach alles doch war, wenn man Geld in der Schürze hatte. Hanna konnte es noch immer nicht ganz fassen: Sie war frei, niemand fragte nach ihr, jeder ließ sie in Ruhe.
    Lächelnd lauschte sie dem Wispern des Windes, der durch ihren Dachverschlag, eine Abseite eines Hauses in der Hirtengasse, zog. Licht und Luft strömten durch die Lüftungsschlitze der niedrigen Kniestockwand, Schwalben, Mäuse und halbzahme Ratten waren hier oben ständige Gäste. Ihre Zufluchtsstätte gehörte der Hirtenzunft, diente als Wollspeicher und Spinnhaus. Außerdem besaß sie einen Versammlungsraum, ein Altenteil und eine Schankstube.
    Hanna rümpfte die Nase, noch störte sie der Gestank nicht. Ich habe Stroh, eine Decke und bin im Trockenen, dachte sie. Das zählt. Aber länger als eine Woche würde ich es hier auch nicht aushalten. Dass es vom Kummereckher ständig stinkt, so

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