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Das Gesicht des Teufels

Das Gesicht des Teufels

Titel: Das Gesicht des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kay Cordes
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Oder auf dem Heuwagen? Bei Agathe und Schwester Mathilde?
    «Sag mir doch einer was!», stieß sie verzweifelt aus und zitterte vor Angst. «Bitte, was hat das alles zu bedeuten? Wo ist sie? Marie, meine liebe kleine Schwester!»
    «Halt den Mund.» Die Büttel hakten sie unter und zogen sie mit sich. Hanna aber hielt noch immer den blutigen Tuchfetzen in den Händen.
     
    Es gab kein Halten mehr. Die Büttel waren machtlos gegen den Menschenstrom, der das Rathaus stürmte. Binnen weniger Minuten war auf dem Flur vor dem Anhörungsraum kein Durchkommen mehr. Es war ein Poltern und Schnauben, Rufen, Japsen, Kichern, Scharren. Die Luft war zum Schneiden, es stank nach Schweiß und faulen Zähnen, aber niemand störte es. Erwartungsfroh reckten diejenigen, die vor der offenen Tür standen, die Hälse.
    Hanna war von vier Bütteln umringt, dicht neben ihnen drängten sich all diejenigen, die für sie sprechen wollten. Sie schaute zu Dr.   Gebhardt, der ein verkniffenes Gesicht machte, sah, wie Ulrich seine Mutter an den Schultern umfasst hielt und an sich drückte.
    Schon ging die Nebentür auf, und der Gerichtsschreiber, Vogt Trüb und Aufreiter erschienen. Als Letzter kam Ritter von Seckendorff.
    «Richter, was hat das zu bedeuten?» Die Stimme eines Einzelnen.
    Aufreiter, der über Nacht um Jahre gealtert zu sein schien, schaute zu Ritter von Seckendorff, dieser nickte.
    «Eine Entlastungsanhörung sollte dies werden!», rief er laut und zeigte mit großer Geste auf Hanna. «Aber was bleibt mir übrig? Euch allen zu sagen, dass Hanna Völz mit zermalmender Hexenkraft den Lieblingsspielgefährten der kleinen Marie in eine Bestie verwandelt hat. Und warum?» Aufreiter holte Atem, um Hanna anzuherrschen: «Weil das Blut deiner Schwester, das jetzt an deinen Händen klebt, Hexe Völz, dich gegen die Schmerzen des Feuers feien soll.»
    «Das ist nicht wahr! Ihr lügt», rief Hanna. «Ihr habt ihr Böses angetan, nicht ich!» Verzweifelt versuchte sie, den Ring der Büttel zu durchbrechen. Doch wie beim letzten Mal hielten diese auch jetzt brutal ihre Oberarme umklammert.
    «Wahr ist, dass du eine Hexe bist! Und so haben wir beschlossen, dass der Henker uns jetzt bestätigt, was ich längst weiß, weil du es mir bereits gestanden hast!» Das übernächtigt aussehende Gesicht des Stadtrichters verzerrte sich vor Abscheu. Die Haut schien blutleer, wirkte fahl wie die eines Toten, und die schwarzen Augen lagen tief in ihren rotumränderten Höhlen. Er wandte sich um und rief: «Meister Schwarz, tut, wie Euch aufgetragen ist.»
    Die Nebentür schwang auf, und der Henker trat in den Raum. Das Aufstöhnen war noch bis auf den Rathausplatz zu hören.
    «Er ist ein Lügner! Ich bin keine Hexe. Jeder hat doch Male!», rief Hanna verzweifelt. Sie trat um sich und ließ sich fallen. Doch wurde sie so brutal hochgerissen, dass Ulrich und Bernward sich nicht mehr beherrschen konnten und sich fluchend auf die Büttel stürzten.
    Pfiffe gellten, vom Flur drängten neue Menschen in den Raum. Der Vogt und Dr.   Gebhardt rissen Bernward und Ulrich zurück. Sie raunzten die Büttel an, sanfter mit Hanna umzugehen. Für einen kurzen Moment war sie jetzt frei – und zögerte keine Sekunde.
    Mit dem Mut der Verzweiflung sprang sie vor Ritter von Seckendorff auf den Tisch und griff in ihr Kittelkleid. «Schaut doch selbst! Es ist nichts als ein Muttermal! Er aber will es zum Hexenmal machen.»
    Der losbrechende Lärm und die schrillen Entsetzensrufe der Frauen ließen sie schwindeln. Kaum begriff sie, dass sie ihr Kleid bis zum Rumpfansatz raffte und ein Bein abspreizte. Auf einmal hatte sie ein dumpfes Dröhnen in den Ohren und glaubte, der Tisch bewege sich unter ihren Füßen. Sie spürte, wie sie das Gleichgewicht verlor, und begann, mit einem Arm in der Luft zu rudern. Das Dröhnen nahm zu, plötzlich war ihr, als erhielte sie einenStoß gegen die Brust, gleichzeitig wurde ihr schwarz vor Augen.
    Es ist egal. Was macht es denn schon   …
    Noch spürte sie ihre Scham in der hohlen Hand.
    Jetzt müssen sie den Fleck sehen   … die beiden Ringe   … Ulrich hat sie geküsst. Es ist doch nur ein Muttermal.
    Lächelnd kippte Hanna nach hinten. Die Stimmen schlugen wie eine Woge über ihr zusammen, ließen sie untertauchen, verhallten in einem vielstimmigen Echo.
    Nimm mich auf, Herr, dachte sie und fühlte sich leicht wie noch nie in ihrem Leben. Nichts konnte sie jetzt mehr aufhalten in diesem herrlichen Fall, diesem köstlichen Flug in

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