Das Gesicht des Teufels
wieder nur der Zweitgeborene zu sein.
Sein Pferd trottete im Schritt durch Rothenburgs Gassen. Noch immer hielt er die Augen geschlossen.
«Nochmal?», hauchte sie keck.
«Ja.»
Forschend wanderten ihre Lippen über seinen Mund, lockten und zogen sich wieder zurück. Er spürte, wie er vor Erregung erschauerte, erinnerte sich, dass er sie am liebsten an sich gerissen hätte.
Seine Hände ließen die Zügel los, ihm war, als berührten sie jetzt ihre Hüften.
Doch dann erstarrte sein Gesicht.
«Nun ist aber genug!»
Gras raschelte, Zweige knackten.
Und noch bevor er das Bild seines Bruders vor Augen hatte, spürte er, wie seine Hände ins Leere griffen. Denn sie hatte ihn von sich geschoben.
Dafür hörte er ihr Lachen: «Ich hab es geahnt, hab es doch gleich geahnt.»
Sie schlug sich die Hand vor den Mund, während er wieder den Arm seines Bruders fühlte, der sich gönnerhaft um seine Schultern legte.
Und plötzlich waren sie wieder da … Sätze wie Keulenschläge: «Aufreiter-Brüderchen, Hedwig ist meine Braut. Hörst du, meine Braut! So ist es abgemacht. Vater will es so. Sie küsst gut, nicht wahr? Und nun ärgere dich nicht: Auch du gehst schließlich nicht leer aus.»
Wie schalkhaft seine Augen blitzten.
Wie verlogen er lächelte, als er ihm Josepha, Hedwigs taubstumme Schwester, in die Arme schob.
Ihr dummes, naives Lächeln.
Jacob Aufreiter riss die Augen auf. Er war unfähig, sich zu rühren. Doch die Realität von Rothenburgs Marktplatz kam nicht gegen die Erinnerungen an, half nicht gegen die Bilder, in denen sein Zwillingsbruder Hedwig an die Hand nahm und laut auflachend mit ihr über die große blühende Apfelwiese davonrannte.
63
Als Ursula, Magdalena und Imke, die Frau des Neusitzer Hufschmieds, das Detwanger Gutsgelände betraten, stand der herrschaftliche offene Kutschenwagen bereits abfahrbereit im Hof. Dahinter legte ein Bursche einen großen Heuwagen mit Decken aus, während eine Magd an beide Wägen Sommerblumensträuße band.
«Gut so», flüsterte Magdalena. «Blumen sind wie Unschuld.»
Wie Ursula winkte sie Ulrich zu, der neben dem Detwanger Pfarrer und Dr. Gebhardt stand, die gerade beide in einen Brezelkorb langten, den ihnen eine Küchenhilfe hinhielt. Etwas abseits unterhielten sich Ulrichs Köchin und einer der Gärtnerburschen, beide scherzten, als sie sich eine Brezel griffen.
«Holla, da kommen ja drei Feen im Sonntagsstaat», begrüßte Ulrich die drei Frauen launig. Seine Miene aber war grau, und er sah übernächtigt aus. «Wo habt ihr die Prinzessin gelassen?»
«Ihr meint Marie?», fragte Ursula.
«Ja. Wir haben alle darauf gewartet, Baburs Gebell zu hören.» Ulrich half seiner Mutter, in den Wagen einzusteigen, winkte dann dem Pfarrer und Anwalt Dr. Gebhardt. Während sie sich setzten, trabte ein Reiter vor die Hofeinfahrt und schaute unschlüssig in Richtung Wagen. «Wer ist das?»
«Ich weiß es nicht», sagte seine Mutter.
Ulrich winkte, und der Reiter kam näher. «Guten Morgen.»
Da tippte sich Ulrich gegen die Stirn: «Die Überraschung ist Euch gelungen, Bader. Seid mir willkommen. Wollt Ihr auch für Hanna gut Zeugnis ablegen?»
«Das will ich. Immerhin versteh ich was von Blut und Tränen. Und dass Hanna geweint hat, als ich sie zur Ader ließ, das kann ich allemal bezeugen. Richtige Hexen können nicht weinen. Das weiß jedes Kind.»
Ulrich nickte zustimmend. Dann schaute er besorgt um sich. «Was ist denn nun mit Marie?»
«War sie nicht über Nacht im Kloster oder hier bei Euch in Detwang?», fragte Ursula.
«Nein», erwiderte Ulrich. «Ich traf sie gestern am späten Nachmittag mit Lienhart und dem Hund. Sie hatte Hanna besuchen dürfen. Anschließend wollte sie mit Babur zu Lienharts Eltern. Danach wollte sie nach Hause gehen.»
«Da werden Lienharts Eltern sie wohl beredet haben, mal wieder die Nacht bei ihnen zu verbringen», vermutete Magdalena. «Bestimmt will sie das Stadtleben in der Rosengasse genießen: spielen, lachen und überall mal was naschen. Am Wachsenberg gibt es doch nur Kohle, Wald und Langeweile.»
Katharina von Detwang schüttelte fahrig den Kopf. «Nein, so ist es nicht. Das weiß ich. Ulrich, du musst sie finden. Wo ist sie?»
«Mutter, du kennst sie doch. Sie ist ein Wildfang.» Ulrichklang gereizt. Da schlug es halb. Hilflos hob er die Schultern und bestieg den Kutschenwagen. Erst als dieser losrollte, nahmen alle anderen im Heuwagen Platz. Der Bader trottete auf seinem Pferd hinterher, auch er
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