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Das Gesicht des Teufels

Das Gesicht des Teufels

Titel: Das Gesicht des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kay Cordes
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stärkte sich mit einer Brezel.
     
    Flötenspiel und Tamburinscheppern schallten über den Rathausplatz. «Sie kommen!», überschlug sich eine Kinderstimme, und im nächsten Moment schon waren die Detwanger Wagen von Bettlern und hungrigen Kindern umringt. Sie rissen sich die geflickten Mützen vom Kopf und hielten die Hand auf, jeder überschrie den anderen, und natürlich behaupteten alle, für Hanna gebetet zu haben.
    Katharina und Ulrich warfen Münzen, Ursula und Magdalena verteilten die restlichen Brezeln. Aus der Hafengasse trabte Bernward heran, hinter dem Rathaus bog der Kutschenwagen mit Agathe und Schwester Mathilde um die Ecke. Zwei Büttel rannten vor der Rathaustreppe vor und zurück, um Platz zu schaffen, aber der Andrang war zu groß: Viel zu viele Menschen waren gekommen, um diejenigen zu sehen, die neben dem verliebten und vielleicht verhexten Ritter und seiner Mutter noch für die Köhlerin Völz sprechen wollten. Pfiffe gellten, selbst ein Spottvers über die Deutschherren machte wieder die Runde. Es gab aber auch Applaus, und ein Chor von Frauenstimmen skandierte: Sie ist Köhlerin, sie bleibt Köhlerin, nur Köhlerin, Köhlerin.
    Dass sie auch Seherin war, scheinen sie vergessen zu haben, wunderte Ulrich sich. Er stand im Kutschenwagen auf und schaute über die Köpfe. Wie viele hier wären für sie? Und wie viele gegen sie?, fragte er sich und suchte den Blick von Dr.   Gebhardt. Dieser schien dasselbe zu überlegen und wiegte den Kopf.
    «Ich werde darauf drängen, alles öffentlich zu machen», zischte er und rieb sich die Hände. Und als er ausgestiegen war, fuhr er fort: «Wir müssen das Volk hinter uns bringen. Vox populi. Auf also, streuen wir Geld.» Er griff in seine Tasche und warf ein paar Münzen in die Menge. «Muss ich euch alle mit Geld bestechen, damit ihr eine Köhlerin nicht vorverurteilt?», rief er pathetisch. «Sie ist doch euer Stand! Herrgott, steht ihr bei! Zeigt wenigstens ihr Erbarmen. Ist nicht schon genug Blut geflossen?»
    Sofort erscholl neues Geschrei. Dies aber galt vor allem dem heranrollenden Schandkarren. Nur mühsam gelang es den Bütteln mit Hilfe Bernwards und des Baders, die Menschen zurückzudrängen.
    «Sie ist unschuldig», erhob sich eine Frauenstimme. «Schaut sie doch an! Sie ist Seherin.»
    «Nein, eine Hexe!»
    «Von wegen. Eine Deutschherrnhure.»
    Hanna hörte Gelächter, dann stutzte sie. Woher kam das Jaulen? Sie wurde die Stufen hochgeführt. Auf der Treppe reckte sie den Kopf, das Herz schlug ihr bis zum Hals. Das ist doch Babur.
    Jetzt hatten es auch andere gehört, da erscholl von der Schmiedgasse her ein Aufstöhnen.
    «Babur!» Entsetzt schlug Hanna sich die Hand vor den Mund. Es war Babur   … aber wie er aussah! Es war einfach nur grauenhaft. Sein Brustfell war rot verklebt, und in seinen Fängen hing ein blutiges Stück Stoff. Hanna packte ein unsägliches Grauen, denn sie kannte das Muster des Stoffs. Noch weigerte sie sich, es richtig zu begreifen, aber das Schicksal kannte kein Erbarmen: Was Babur da zwischen den Lefzen hing, war ein Stück von Maries Kittel!
    Sie sah, wie der Hund mit leuchtenden Augen die Stufen hochfegte. Hanna schrie auf, riss die Arme hoch, die Büttel wichen zur Seite.
    Himmel, er will mich beißen!
    Doch Babur bremste seinen Lauf hart vor ihr ab und legte ihr winselnd das Stück Stoff zu Füßen. Hanna wagte nicht, es zu berühren. Stattdessen zupfte sie zwei wollige Kletten aus Baburs Fell und zerrieb die violetten körbchenförmigen Blütenstände zwischen den Fingern. Plötzlich aber hielt sie mitten in der Bewegung inne und erstarrte.
    Nein, du doch nicht, Babur, doch nicht du!
    Tollwütig, er ist tollwütig, durchfuhr es sie. Aber war er nicht schon immer wild gewesen?
    Da sprang Babur die Stufen mit zwei Sätzen wieder hinunter. Er drehte sich zu Hanna um, die jetzt den blutigen Fetzen aufhob. Sein Bellen schnappte über. Geifer troff von seinen Lefzen.
    «Marie! Er hat sie zerrissen! Er ist eine Bestie!»
    Katharina von Detwang schwankte. Sie hatte die Fäuste geballt, ihre Augen traten hervor. Babur indes bellte wie toll und wollte noch einmal die Stufen hochhetzen, doch da hatte einer der Büttel seinen Knüppel gezogen. Babur knurrte, wich zurück, bellte noch einmal – darauf schlug er einen Haken und verschwand mitten durch die Menge.
    Nein, das ist alles nicht wahr. Ich habe nur einen Albtraum. Doch schon schossen Hanna die Tränen in die Augen. Wo war Marie? Warum war sie nicht bei Ulrich?

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