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Das Gesicht des Teufels

Das Gesicht des Teufels

Titel: Das Gesicht des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kay Cordes
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sie hochkant in die Ritzen des Pflasters getreten: immerhin dreimal vier Heller, also eineinhalb Kreuzer. Das war ungefähr ein Viertel dessen, was ihre Schuhe gekostet hatten. Sie nahm eine Münze und lief rasch weiter.
    Bis jetzt geht alles gut, dachte sie, als sie Neusitz durchquerten. Dort krähten die Hähne, aus zwei Kaminen qualmte blauer Rauch. Marie knurrte der Bauch, und Babur hetzte durch die Reihen mit den Obstbäumen und schnüffelte jeden Komposthaufen an. Plötzlich erklang wüstes Gebell und lautes Hühnergegacker.
    Er wird doch wohl nicht   …
    Marie wollte Babur rufen, besann sich aber im letzten Moment. Wenige Augenblicke später schoss Babur hinter einer Hausecke hervor. Der Hund, der den Hof bewachen sollte, überschlug sich vor Wut. Zum Glück lag er an der Kette, Babur jedoch hatte eine von Eigelb verschmierte Schnauze, die er sich mehrfach genüsslich leckte. Marie musste lachen. Der Blick, mit dem er sie bedachte, schien zu sagen: Himmel, sie sollten froh sein, dass ich nur auf die Eier aus war   …
    Trotzdem begann sie zu rennen. Bloß nicht gesehenwerden, denn Eierdiebe wurden bereits an den Pranger gestellt. Und auch wenn ich’s nicht war, dachte Marie, mit Babur wär’s aus.
    Nach und nach wurde es heller. Bald schon begannen die raureifüberzogenen Wiesen zu tauen. Zügig ging Marie ihres Weges. Ihr war wohlig warm geworden. In ihrer in der Kitteltasche steckenden schwitzigen Faust verbarg sie eine ihrer drei Vier-Heller-Münzen und konnte es kaum erwarten, sich dafür Brot und Wurst zu kaufen. Sie lenkte sich von ihrem Hunger ab, indem sie die lärmenden Krähen verfolgte, die am Horizont akrobatische Flugkünste vollführten.
    Endlich drangen die Trompetensignale der Rothenburger Türmer an ihr Ohr. Wenig später erreichte sie die Brücke vor dem Rödertor.
    «He, Kleine, was willst du denn hier?» Der Torwächter rieb sich den Schlaf aus den Augen und hatte schrecklichen Mundgeruch. «Bist heute die Erste hier.»
    «Mir und meinem Hund etwas zu essen kaufen.»
    «Hast du denn Geld?»
    «Ja.» Marie zeigte ihre Münzen und fragte, was man in der Stadt alles für sechs Heller kaufen könne.
    «Nun, ein halbes Pfund Wurst, eine Kanne Milch und ein großes Brot sind schon drin. Aber auch nur noch diesen Monat. Danach und im neuen Jahr bekommst du dafür nur noch die Hälfte. Du hast bestimmt schon gehört, wie bescheiden wegen der Trockenheit die Ernten ausgefallen sind.»
    «Beten wir, dass es besser wird», gab Marie altklug zur Antwort und ging durch die Rödergasse auf den Marktplatz zu. «Und du gehst bei Fuß», befahl sie Babur. «Sonst landen wir beide im Turm.»
    Babur gehorchte, was ihn nicht hinderte, ständig zu winseln und ihr die Schnauze in die Hüfte zu stupsen.Aber es war einfach noch zu früh, die Läden waren alle noch geschlossen. Zum Glück belebten sich hinter dem Röderbogen die Gassen mit Marktbeschickern und ersten Besuchern. Himmel nochmal, regte sich Marie auf, ich will keine Modeln, keine Töpfe, keine Messer. Ich will auch keine Körbe oder Tuche, und Wein oder Most will ich schon gar nicht. Ich will Brot und Würste frisch aus dem Rauch, Erbsensuppe mit Speck, warme Graupen mit Honig, Kuchen   …
    Da ließ sich in der Jacobsgasse ein so schmächtiger wie übernächtigter Bäckerlehrling mit einem Korb voller duftender Weißbrotwecken und Butterbrezeln blicken.
    «Warte», rief Marie. «Schnell, zwei Wecken und zwei Brezeln. Sonst bin ich tot.» Sie hielt dem Jungen ein Vier-Heller-Stück hin.
    «Wieso denn?»
    Der Junge schien nicht der Klügste zu sein, aber da hatte Marie schon in den Korb gegriffen und sich und Babur die erste Brezel zwischen die Zähne geschoben.
    «Weil wir nun mal auf vielerlei Art sterben», antwortete sie mit vollem Mund. «Am Alter, durch Böses, wegen Krankheiten und am Hunger.»
    «Du bist gar nicht dumm», murmelte er verdattert und gab ihr zwei Heller zurück.
    Marie freute sich und steckte sie in ihre Schürze. «Aber jetzt müssen wir weiter zu den Würsten.»
    Diese hoffte sie auf dem Marktplatz an einem Metzgerstand zu bekommen. Aber erst einmal ging es zum Herterichbrunnen. Ein gutes Dutzend Mal schöpfte sie Wasser, das ihr Babur aus den hohlen Händen schlabberte. Dann warteten sie, verzehrten dabei die Wecken und schauten einem Balljongleur zu, der für sich übte. Inzwischen war der größte Hunger gestillt. Mit einem Mal packte Marie das schlechte Gewissen. Wir trödeln hier herum, anstattendlich Hanna zu

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