Das Gesicht des Teufels
helfen, dachte sie. Sparen wir uns jetzt eben die Würste. Die können warten. Sie laufen ja schließlich nicht weg.
«Komm, Babur. Hanna braucht uns.»
Eine halbe Stunde später hatten sie die Doppelbrücke passiert. Inzwischen war die Sonne aufgegangen, und die Glocke des Kobolzeller Kirchleins hatte siebenmal geschlagen. Marie überlegte, wie sie es denn nun anstellen sollte, Hanna aus der Gewalt des Müllers zu befreien, aber irgendwie lief es immer auf dasselbe Szenario heraus: Sie sah sich durch die Mühle rennen und nach Hanna rufen, während Babur den Müller knurrend und mit gefletschten Zähnen in Schach hielt.
Sie schlug den Weg zur Mühle ein, blieb stehen, lauschte. Das Wasser rauschte im Mühlgraben, aber vom Knarren des Mühlrads war nichts zu hören. Also arbeiten sie noch nicht, dachte Marie. Oder niemand hat mehr Korn. Sie ging weiter, bis sie Mühle und Nebengebäude genau sehen konnte. Im nächsten Augenblick sprang sie erschrocken ins Weidengehölz. Zu früh gefreut, dachte sie und beobachtete zwei Männer, die Mehlsäcke über den Hof schleppten. Sie luden sie auf einen vierrädrigen Karren, vor den ein Zugpferd gespannt war.
Marie begann sich zu wundern, denn als die Säcke verladen waren, wurden sie dick mit Stroh abgedeckt. Dabei schauten sich die Männer um, ob ihnen auch niemand zusah. Daraufhin verschwanden sie in der Mühle.
«Du bleibst hier. Niemand darf dich sehen, hörst du?»
Babur streckte sich hechelnd im Gras aus, während sie die Deckung des Weidenbuschs verließ und auf den Hof rannte. Ihr Ziel war der alte, von Holunderbüschen umstandene Mühlstein. Er stand aufrecht und war genügend hoch, um sich hinter ihm zu verstecken. Von hieraus konnte sie durch die Beine des Zugpferdes sehen und auch gut hören.
Da ging die Tür zum Mahlboden auf. Jemand hustete. Jetzt waren es fünf Männer: die beiden, die gerade die Säcke verladen hatten, der Müller, sein Knecht und ein bärtiger Mann, an dem Marie als Erstes die goldglänzenden Schnallen seiner Maulschuhe auffielen. Zudem trug er rotseidene Beinlinge und einen feinen, mit Goldfäden bestickten Filzmantel. Der Hut war auffallend groß und bedeckte einen Teil der rechten Wange. Marie war sich sicher: Wer so aussah, gehörte zum Rothenburger Patriziat.
«Es bleibt wie besprochen», schnappte sie die Worte des Müllers auf. «Verlasst Euch auf mich.»
«Ich hab ja auch anständig gezahlt, oder?», bemerkte der Patrizier Anerkennung heischend.
«Das habt Ihr. Aber auch mein Korn ist gut.»
«Das will ich hoffen. Mein Herz schlägt für die armen Leute.»
«Meines auch.»
«Mag sein. Ihr seid aber auch einer von diesen gottverdammt ewig Unzufriedenen. Ich warne Euch: Schlagt Euch Eure aufrührerischen Pläne aus dem Kopf. Noch ist der Markgraf langmütig, aber wehe Euch, ihn übermannt die Wut.»
«Jawohl, Patrizier Jacob Aufreiter. Ich meine aber, es muss Schluss sein mit der Demütigung von uns Kleinen.»
«Ihr leidet doch keine Not!»
«Nur weil Gott mir eine Erbschaft hat zukommen lassen?»
Der Müller klang stur, sein Gesicht war wie versteinert. Marie hörte Jacob Aufreiter kehlig auflachen, dann verabschiedeten sich die Männer. Marie sah, wie sich die ersten beiden auf den Kutschbock schwangen. Der vornehmeAufreiter aber ging zum Stall und führte sein Pferd hinaus. Sie bemerkte auch, dass der Knecht, der im Hintergrund stand, den Kopf schüttelte. Offensichtlich war ihm alles nicht recht.
«Sei ein Mann, Hannes», herrschte ihn nun der Müller an. «Gestern hast du noch gesungen, jetzt aber hast du Angst, nur weil wir ein paar Sack Korn an den Deutschherren vorbei verhökert haben. Und du weißt genau, dass dies nicht das beste Korn ist. Setz lieber die Mühle in Gang. Wir haben vom letzten Jahr noch genug Eicheln zu mahlen.»
«Dafür kommen wir an den Galgen, Jobst.»
«Nein. Ich werde dem Rat melden, dass er entweder Korn zukauft oder zulässt, dass wir in Maßen strecken. Es geht nicht anders.»
Marie klopfte das Herz bis zum Hals. Der Müller verkauft schlechtes Korn, das ihm nicht gehört, dachte sie. Was aber will er mit dem Geld machen, wo er doch schon welches hat?
Sie wartete, bis Jobst Gessler über den Hof in der großen Scheuer verschwunden war, und huschte auf Zehenspitzen durch die offene Tür des Müller-Hauses. «Hanna», rief sie halblaut. «Bist du hier?» Da keine Antwort erfolgte, beschloss sie, die Steintreppe hochzulaufen. «Hanna?» Vorsichtig trat sie in die Stube, doch da war
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