Das Gesicht des Teufels
niemand. Also rannte sie auf den Flur zurück, drückte die nächste Türklinke herunter. Aber in dem Zimmer stand nur ein leeres ungemachtes Bett. Da die Tür zur Knechtstube offen stand, blieb nur noch diese dritte Tür.
Vorsichtig drückte sie die Klinke nieder. Die Tür war abgeschlossen. Zaghaft klopfte sie. Einmal, zweimal, dreimal.
«Wer ist da?», erklang eine gequälte, aber Marie wohlvertraute Stimme.
«Hanna! Ich bin’s, Marie.»
«Schnell, lauf weg und hol Hilfe. Der Müller hat mir Bilsenkrautsaft ins Bier getan. Ich habe fürchterliche Kopfschmerzen.»
«Hat er dich geschlagen?»
«Nein. Mach, dass du fortkommst. Los, er darf dich nicht sehen.»
Marie stürmte die Treppe hinunter, doch just in diesem Moment ging die Haustür auf. Es gelang ihr, am völlig überraschten Müller vorbeizuschlüpfen und auf den Hof zu stürzen.
«Babur, Babur! Hilf mir!»
Sie hörte ihn bellen und sah ihn schon um die Ecke biegen, doch der Müller war schneller. Mit wenigen Schritten hatte er sie eingeholt. Er packte sie grob am Arm und zerrte sie in die Mühle zurück. Die Tür fiel ins Schloss, Babur war zu spät. Jaulend kratzte er von außen an der Tür, während der Müller genüsslich von innen abschloss und Marie die Treppe hochstieß.
«Ich werde alles sagen, wenn Ihr mich nicht loslasst!», schnaubte Marie.
«So? Was denn?», fragte der Müller lauernd und versetzte Marie einen neuen Stoß.
«Dass Ihr …» Marie zögerte.
«Na?»
«Dass Ihr meiner Schwester Bilsenkrautsaft ins Bier gemischt habt, um sie in Euer Bett zu zerren.»
«Ach, der böse böse Müller. Aber so ist unser Ruf. Hast dich auf dem Hof versteckt, wie?»
«Ihr lügt!»
«Dann ist ja gut.» Der Müller stieß sie vor sich her, bis zu Hannas Raum.
«Marie? Was ist los? Sag doch was!» Hanna hämmerte gegen die Tür. Ihre Stimme aber war ohne alle Kraft. DerMüller schloss die Tür einen Spalt weit auf, stieß Marie ohne ein weiteres Wort hinein und sperrte sofort wieder hinter ihr ab.
Fassungslos starrte Marie auf ihre Schwester, die da mit schmerzverzerrtem Gesicht vor ihr stand, dann warf sie sich aufschluchzend in ihre Arme.
Hanna drückte sie an sich, doch schon nach kurzer Zeit ließ sie Marie wieder los: «Du darfst nicht laut reden, und Licht vertrag ich auch nicht. Ich glaube, mir platzt gleich der Kopf.»
«Dafür wird er büßen.»
Hanna versuchte ein Lächeln. Dann sank sie auf die Pritsche, auf der sie aufgewacht war, und legte sich auf die Seite. Marie schüttelte die beiden Wolldecken aus und deckte Hanna mit einer von ihnen zu. Die andere faltete sie zusammen und setzte sich im Schneidersitz neben die Pritsche. Babur jaulte und bellte nicht mehr, nur das Rumpeln des Mahlwerks war zu hören.
«Er kann uns nicht ewig hier einschließen», flüsterte Hanna. «Wahrscheinlich wartet er nur, bis es mir wieder bessergeht. Dann braucht er nur sagen, ich hätte das Bier nicht vertragen. Alles andere … Wie will ich es beweisen? Er aber kann behaupten, er hätte nur lauterste Absichten. Schließlich hat er die Goltz-Brüder und all die anderen ausgezahlt.»
«Hat er dich entehrt?», fragte Marie geradeheraus.
«Nein. Ich nehme an, er hatte sich alles ein bisschen anders vorgestellt. Jetzt denke ich, dass er mich mit dem Bilsenkrautsaft vor Schlimmerem bewahrt hat.»
«Warum tut er das alles?»
«Er hat gehofft, meinen Widerstand aufzuweichen, wenn ich erst sehe, wie schön ich es hier hätte. Dann mit ein bisschen Rausch nachhelfen … mir ein paar Küsse abtrotzen und dann eben mehr. Viele Männer sind so.»
«Der Ulrich auch?»
«Wer ist Ulrich?»
«Ulrich von Detwang heißt er, Hanna. Und er hat uns besucht.»
«Was?» Hanna stemmte sich hoch. Fassungslos schaute sie ihre kleine Schwester an, die jetzt ein betont gleichmütiges Gesicht zog, obwohl es verräterisch um ihre Mundwinkel zuckte. Ich sag ihr nicht alles, dachte Marie. Erst, wenn wir hier raus sind und Würste gekauft haben. Dann haben wir viel mehr Zeit, uns zu freuen. «Nun erzähl schon», drängte Hanna. «Ja, ist es denn möglich? Er hat uns besucht? Was wollte er denn? Und wie sah er aus?»
Ihre Neugier war stärker als alle Schmerzen, die mit einem Mal weniger wurden.
«Er wollte wissen, wie es uns geht. Babur übrigens scheint ihn auch zu mögen.»
«Wieso auch?»
«Du magst ihn doch so.»
«Das geht dich überhaupt nichts an.»
«Na ja, jedenfalls hat er gesehen, wie Arndt sich mit einem Bänderbalken abmühte. Jetzt zahlt
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