Das Gesicht des Teufels
Gläubiger ist besser als nur einer, Hanna.»
«Wie viel also?»
«Jetzt lass gut sein», sagte Jobst Gessler sanft und nahm einen Schluck. Er wischte sich über den Mund und musterte sie belustigt. «Trink lieber und mach dir keine Sorgen. Die Zeit wird alles richten.»
Hanna setzte den Krug an die Lippen, ohne Jobst Gessler dabei aus den Augen zu lassen. Kann es sein, dass es mir schon zu Kopf steigt?, fragte sie sich. Unsinn, es ist bloß die Aufregung. Die macht mich schwach. Aber ich werde dir schon Bescheid tun, Müller. Sie genehmigte sich einen großen Zug und stellte den Krug vorsichtig ab.
Jobst Gessler lehnte sich entspannt zurück. Hanna tat es ihm nach. Sie maßen sich mit abschätzenden Blicken, doch nach einer Weile hatte Hanna das Gefühl, der Müller würde etliche Armlängen weit entfernt von ihr sitzen und die Stube sich aufblähen wie ein Schweinedarm, in den man hineinblies. Auf einmal schien sie sogar mit ihrem Stuhl über dem Boden zu schweben.
«Was tut Ihr da?», hörte sie sich mit schwerer Zunge fragen, aber in ihren Ohren hatte sie ein Echo. «Was ist mit dem Bier, sagt schon … was?»
«Ein Bier ist ein Bier, und wenn du es nicht verträgst, Hanna, trag ich dich ins Bett. Komm, schlaf dich aus.»
Selbst in ihrem Zustand entging Hanna nicht, wie verlogen Jobst Gessler klang. Angst befiel sie, denn sie begriff, dass sie nicht mehr Herrin ihrer selbst war. Tränen traten ihr in die Augen. Er hat Bilsenkrautsaft ins Bier gemischt, dachte sie verzweifelt. Wenn ich nicht fliehe, wird er mich schänden.
Sie konzentrierte sich, atmete tief ein und aus und erhob sich. Für einen Moment war sie wieder klar im Kopf.
«Ihr seid ein Teufel, Jobst Gessler.» Hanna stützte sich auf die Tischplatte. «Aber wenn Ihr mich nicht gehen lasst … dann … dann sorge ich dafür, dass Euch der Henker bald die Schlinge um den Hals legt.»
«So? Wie das? Nur, weil ich unfreiwillig ein paar Sätze des blinden Mönchs aufgeschnappt habe?»
Hanna sah Jobst Gessler die Augen zusammenkneifen, doch im nächsten Augenblick wogten gewaltige Mengen Licht durch das Fenster. Sie war versucht, in dieses Licht zu springen, um sich darauf auszustrecken, doch die Lust zu singen war auf einmal viel größer:
Wir sind die armen Haufen und wolln mit Pfaff und Adel raufen. Heija oho. Spieß voran, rauf und dran! Los, aufs Ziegeldach den roten Hahn. Heija oho, heija oho.
«Halt deinen hübschen Mund, Hanna.»
Jobst Gessler umklammerte den Krug, sodass seine Knöchel weiß hervortraten. Hanna hatte mittlerweile ganz die Kontrolle über sich verloren.
«Da nehm ich doch lieber den Valentin Schnitzer», kreischte sie, «das Schafsgesicht. Du, Müller, willst doch nur was zum Stoßen haben.»
Sie ruderte mit den Armen und begann erneut, das Lied des Müllerknechts zu singen. Jobst Gessler stieß seinen Stuhl nach hinten und kam um den Tisch herum. Er packte Hanna und drückte ihr die Hand auf den Mund.
Mit dem letzten Rest an Vernunft biss Hanna ihn in den Finger. Sie weinte, ohne dass sie es spürte. Um sie herum war nichts als schrecklicher Lärm.
«Wenn du dich vergehst … euch alle an den Galgen.»
Kaum spürte sie den Stoß, den ihr der Müller versetzte. Mit beiden Armen drückte er sie gegen die getäfelte Stubenwand. Hannas Kopf flog nach hinten … ihr wurde schwarz vor Augen. Sie spürte noch, dass sie fiel, aber als sie auf den Boden aufschlug, hatte sie das Bewusstsein schon verloren.
9
Der Abend war längst verstrichen, im Osten wich die Nacht bereits der Morgendämmerung. Marie schreckte aus dem Schlaf. Sie wusste, sie hatte schlecht geträumt, aber als sie zu erinnern versuchte, wovon der Traum gehandelt hatte, stellte sie fest, dass sie bereits alles vergessen hatte. Bestimmt ist es besser so, dachte sie und zog sich das Fell bis unters Kinn. Wer mag schon Albträume. Sie gähnte und machte sich so lang sie konnte, um Babur mit dem dicken Zeh in die Seite zu stupsen.
Ob er aufwacht?
Babur aber, der quer zu ihren Füßen lag, rührte sich nicht. Er weiß, dass ich es bin, dachte Marie stolz. Schließlich ist er nicht dumm. Wohlig rollte sie sich auf die andere Seite und streckte die Hand aus. Doch die Stelle neben ihr war kalt und leer. Marie erschrak. Sie hatte gehofft, sich an Hannas Rücken kuscheln zu können, so wie sie es immer tat, wenn es kalt war. Dafür war sie nun mit einem Schlag hellwach. Also ist Hanna nicht zurückgekommen, schoss es ihr durch den Kopf. Dabei ist die
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