Das Gesicht des Teufels
Halsband, er spürte die Spannung nur zu deutlich. Unruhig sprang er zwischen ihren Beinen umher, bellte und jaulte, was den Jungen zu einem kleinen Freudentanz aufstachelte.
«Er ist mit uns», rief er ein ums andere Mal. «Hunde haben wenigstens ein Herz! Und ihr zwei: Auf! Kommt mit zu diesen erzfaulen Deutschrittern. Wecken wir sie! Schlagen wir ihnen die fetten Bäuche platt. Los, Spieß voran, aufs Ziegeldach den roten Hahn!»
«Es gibt auch gute Ritter», rief Marie. «Das weiß ich.»
«Was? Bist du eines ihrer Luder, wie?»
«Halt die Klappe», rief Hanna erbost. «Was weißt du denn schon!»
Babur begann zu knurren, da verwandelte sich der Gesang der Bauern hinter ihnen in wütende Rufe. Hanna undMarie fühlten sich zunehmend unwohl, aber zum Umkehren war es zu spät. Die nachrückenden Leuzenbronner und Bossendorfer Bauern schoben sie lärmend auf das Kobolzeller Tor zu. Rätschen kreisten, Holzklappern ertönten. Es wurde gesungen und gegrölt. Dazwischen schrillten aufreizende Melodien aus alten Knochenpfeifen.
Plötzlich ein Trommelwirbel. «Redefreiheit für den blinden Mönch!», gellte eine Stimme. Eine zweite Trommel, tiefer im Klang, stützte den Ruf mit derben Schlägen.
Jetzt gab es kein Halten mehr. Die Stimmen vereinigten sich zu einem zu allem entschlossenen Chor. Ringsum sahen Hanna und Marie in erhitzte Gesichter. Immer neue Häcker und Lesehelfer strömten herbei. Auf einmal schien die Luft von der skandierenden Menge zu vibrieren. Die Menschen waren jetzt nicht mehr aufzuhalten. Die Torwächter wurden beiseitegeschoben. Vom Plönlein liefen Handwerker und andere Bürger Rothenburgs hinzu und verbündeten sich vor und hinter dem Tor mit den Bauern.
«Da ist der Müller», rief Marie plötzlich, weil Babur wie wahnsinnig am Halsband zerrte. Hanna konnte ihn kaum halten. Ihm stand Schaum vorm Maul, er knurrte, japste und bellte in einem fort.
Auch Jobst Gessler hatte sie entdeckt. Er war gerannt und ganz außer Atem. «Seht ihr, wie herrlich begeistert sie mitsingen?», rief er anklagend und ruderte mit den Armen durch die Luft. «So schweigt doch nur, wer ein schlechtes Gewissen hat.»
Sofort erhielt er Beifall, andere begannen zu tuscheln.
«Das ist eine Lüge», schrie Hanna. «Ihr seid reich, wir doch nicht!»
«Aber mit den Deutschherren habt ihr’s, wie?», rief der Junge.
«Ist das wahr?», rief dessen Vater, ein hohlwangiger,ausgemergelter Mann, der kaum weniger zerlumpt aussah als sein Sohn.
«Nein. Aber ein Ritter hat am Wachsenberg meine kleine Schwester vor den Flammen gerettet.»
Hämisches Gelächter machte die Runde.
«Wie …? Er hat Feuer gelöscht?», rief einer belustigt, worauf ein anderer eins draufsetzte: «Vielleicht die Flammen, die in ihrem Stübchen lodern!»
Wie feindselig die Stimmung geworden war, war für Hanna jetzt körperlich zu spüren. Hilflosigkeit und Angst nahmen zu. Überall sah sie in grobe, gehässige Gesichter, niemand schien auf ihrer Seite zu stehen. Hilfesuchend schaute sie von einem zum anderen, stellte aber entsetzt fest, dass Marie, Babur und sie umzingelt waren.
Babur nutzte einen Moment der Schwäche aus und riss sich los. Knurrend stürzte er auf den Nächstbesten zu, doch gegen die schnell gesenkte Phalanx aus Forken war er machtlos. Wütend bellend hetzte er im Kreis herum.
Jobst Gessler frohlockte und riss sich seine Weste auf: «Schickt das Viech zur Hölle! Schlagt es tot, spießt es auf! Es beißt!»
«Nein, das tut er nicht!» Verzweifelt riss Marie Babur zurück und warf sich schützend über ihn. Hanna bekam im selben Augenblick einen Stoß. Zwei junge stämmige Bauern packten sie und wirbelten sie unter dem schrillen Gepfeife einer Beinflöte so lange herum, bis ihr schwindlig wurde. Als sie losgelassen wurde, stolperte sie taumelnd über einen Stein und stürzte.
Breitbeinig trat der Müller vor sie hin. «Verpfeifen willst du uns beim Rat, und meinen Knecht hast du auch aufgewiegelt», schimpfte er lautstark. «Bist wohl ein Spitzel von denen, was? Ich sag dir eins, wenn ich deinen Bruder nicht kennen würde, dann …» Er riss sie hoch. «Verschwinde, Hanna Völz! Lass dich nie wieder hier blicken!»
Er stieß sie vor sich her, in Richtung Kobolzeller Tor. Hanna taumelte rückwärts, boxte ihn jedoch zugleich mit dem Mut der Verzweiflung heftig auf die Brust. Da hörte sie Marie aufschreien. Bevor Jobst Gessler es sich versah, wand sich Hanna an ihm vorbei zu Marie, die von mehreren Knechten
Weitere Kostenlose Bücher