Das Gesicht des Teufels
wehe dir, Hanna Völz, der Teufel versucht dich mit weiteren dieser widerlichen Gesichte. Dann kann auch ich dir nicht mehr helfen.»
Vor Schreck hatte sie aufgeschrien. Die Knie waren ihr weich geworden, und um ein Haar wäre sie in den kotigen Kehricht gestürzt. Zum Glück war der Spitalkaplan kein Unmensch. Sie solle seine düsteren Worte vergessen,hatte er sich entschuldigt, aber er sei eben ein Mann des Glaubens. Unerschütterlich bin ich, hatte er ihr erklärt und dabei befremdlich gelächelt. Sie aber konnte für den Rest des Tages keinen klaren Gedanken mehr fassen, weil ihr unentwegt das Wort Scheiterhaufen im Kopf kreiste.
Beim Abendessen war sie für ihre Angst entschädigt worden. Und das kam so: Wie die Mönche im Kloster mussten alle in Gemeinschaft lebenden Spitalinsassen schweigend essen, während Kaplan Ott biblische Geschichten las. Heute war es die Geschichte vom verlorenen Sohn gewesen. Als der Kaplan an die Stelle gekommen war, wo der Sohn sich seinem Vater zu Füßen wirft, dieser ihm aber vergibt, ihn neu kleidet und ein Festmahl für ihn ausrichtet, hatte sie laut aufgeschluchzt. Ihre Tränen waren echt, weil sie an ihren Vater hatte denken müssen und für einen Augenblick an den wunderbaren Moment, als Ritter Ulrich Marie und sie in seinen Mantel eingeschlungen und dann gesungen hatte.
Dem Spitalkaplan war ihre Rührung nicht entgangen – und das war mehr wert gewesen, als hätte sie für drei gearbeitet.
«Hanna Völz, kämpfe weiter gegen das Böse in dir», hatte er nach dem Essen zu ihr gesagt. «Gerade hast du gezeigt, dass der Teufel dich noch lange nicht besiegt hat. Bete und arbeite, dann bist du bald wieder frei.»
Wieder hatten seine Blicke viel zu lang auf ihren Hüften gelegen. Er hatte ihr mit den Fingern die Wange gestreichelt und ungewöhnlich tief geatmet. Dabei hatte er sie mit den wässrigsten Augen angesehen, die sie je bei einem Menschen gesehen hatte.
Vielleicht tust du ja nur so fromm, Spitalkaplan Ott, sagte Hanna sich. Was ist, wenn du in Wahrheit hinter mir her bist? Dann habe nicht ich sündige Phantasien, sondern du.
Als habe sie recht, hörte sie Friedlind kichern. Berta machte irgendwelche Geräusche und fiel in einen eigentümlichen Singsang.
Was aber passiert, wenn ich mich wieder vergesse und neue Gesichte habe?, schoss es Hanna plötzlich durch den Kopf. Sie zuckte so heftig zusammen, dass ihre Fußkette klirrte. Krampfhaft versuchte sie an etwas anderes zu denken, doch es war zwecklos. Die Frage hatte sich in ihr Hirn gebohrt und saß dort jetzt so fest wie ein Sprengel in der Haut.
Die Gesichte scheinen zu kommen, wann sie wollen, dachte sie. Ich kann mich nicht dagegen wehren.
Vier Visionen sind es bislang gewesen, überlegte sie widerwillig. Die erste betraf Maries Rettung und dass ich mich in Ritter Ulrich verliebt habe. Die zweite, nachdem Arndt mich geschlagen hatte, hatte etwas mit der Brandseuche zu tun. Und die dritte? Es war die Hatz gegen mich und Marie vor dem Kobolzeller Tor. Ich habe Hegemeister Bernwards Ausstrahlung gespürt, sogar Baburs Winseln gehört.
Hanna hielt inne und versuchte damit fertigzuwerden, dass sich die erste und dritte Vision binnen weniger Tage erfüllt hatten.
Und die vierte?, fragte sie sich mit wachsendem Unbehagen. Ich weiß nur, dass sie von allen bis jetzt die grässlichste war. Die hassverzerrten Gesichter … die Kobolzeller Kirche und zerschlagenes Kirchengut, viele Fackeln, die Krähenstimme des Herren-Müllers …
Wenn ich doch bloß mit jemandem darüber sprechen könnte!
Ihre Hilflosigkeit machte sie müde. Hanna streckte sich auf ihrer Pritsche aus und deckte sich zu. Noch kann ich Schlaf gebrauchen, dachte sie und versuchte sich vorzustellen, wie lang ihr die Nächte werden würden, wennsie nicht mehr schliefe. Wie würde es sein, bis zur Frühmesse warten zu müssen?
Hanna gähnte. Gegen sechs Uhr wurden sie geweckt, dann ging es in die Spitalkirche zur Messe. Und hinterher gab es gleich Frühstück …
Mit einem Lächeln auf den Lippen schlief sie ein. Berta dagegen kicherte und zischte, als wollte sie sich in eine Schlange verwandeln.
«Scht …», machte die alte Friedlind. Noch immer döste sie auf ihrem Lieblingsplatz, dem Latrineneimer. Ihre Kette klirrte ein wenig, und hin und wieder plätscherte es.
11
Einen Tag nach Allerseelen war Arndts gute Stimmung verflogen. Dass Hanna immer noch nicht zu Hause war, geht ja noch an, grübelte er. Aber was ist mit Marie? Nicht
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