Das Gesicht des Teufels
Frühstück den Bibelversen vom reichen Mann und armen Lazarus. Für eine Weile half dies gegen ihren überwachen Zustand. Doch als sie zusammen mit Friedlind und zwei tauben jungen Männern in der Zehntscheuer Getreide zu sortieren begann, hatte sie zunehmend das Gefühl, in den Geräuschen des Siebens und Umfüllens zu ertrinken. Und das Licht, das durch zahlreiche kleine Gaupen fiel, schienihr so körperreich, dass sie versucht war aufzuspringen, um es zu greifen, zu wiegen und zu umarmen.
Ich werde hier verrückt, dachte sie bestürzt. Ich stecke mich an all dem Wahnsinn um mich herum an. Sie hielt sich die Ohren zu, worauf Friedlind sofort laut zu singen begann und versuchte, ihr die Hände vom Kopf zu reißen. Die beiden Männer dagegen, von denen einer verkrüppelte Beine hatte, dachten, dies sei ein neues Spiel. Begeistert schlugen sie sich die Hände gegen den Kopf und begannen zu lallen.
«Was ist das denn jetzt?», rief der Zehntscheuer-Verwalter übellaunig. «Hört mit diesen Faxen auf!»
«Ich habe nur Ohrenschmerzen», schwindelte Hanna.
«Nein, du bist faul!», schnauzte sie der Verwalter an.
«Bin ich nicht!»
«Bist du doch. Ich brenn euch eins mit dem Strick über, wenn das nicht aufhört.»
«Nein, bitte nicht. Sie können doch nichts dafür.»
Beflissen beugte sie sich wieder über ihren zusammengekehrten Kornhaufen und las hastig eine Handvoll Getreide zusammen. Je zwei große Sack Weizen und Gerste waren auf der Tenne geplatzt, das mürbe Leinen hatte dem Druck nicht mehr standgehalten. Die Bauern, die dem Spital, dem größten städtischen Grundherren Rothenburgs, zehntpflichtig waren, sparten, wo sie konnten. Ihre Kornsäcke waren nicht nur alt, sondern auch vielfach geflickt, und wenn sie auf der Tenne ausgegossen wurden, staubte nicht nur das Korn, sondern auch der daruntergemischte feine Lehmsand.
Der Verwalter schlurfte zu ihnen herüber und sah Hanna zu, wie sie das Getreide sortierte. Er achtete auf jeden Handgriff, drohend lastete sein Schatten auf ihr. Hanna hatte das Gefühl, sein Gewicht zu fühlen, gleichzeitig spürte sie, wie sie rot wurde. Ihm geht es gar nicht um dasKorn, dachte sie empört. Er will mir nur auf den Hintern glotzen. Sie wagte nicht aufzublicken, überdies wurde ihr immer heißer. Ihr Körper begann überall zu jucken, schließlich glaubte sie zu spüren, wie sich die Blicke des Verwalters auf ihrer nackten Haut bis zu ihren intimen Stellen vorantasteten.
Ich muss hier raus, dachte sie. Um jeden Preis.
«Nicht. Es … tut weh. Ich kann nicht mehr.»
Sie begann zu wimmern und legte sich die Hände an die Ohren. Als sie aufblickte, glaubte sie, das Gesicht des Verwalters sei von einem Augenblick auf den anderen eingefroren, wie aus Stein gemacht. Sie schrie auf, was den Bann brach. Doch da packte sie der Verwalter am Arm und riss sie hoch.
«Dann komm, wenn es so wehtut. Ich führe dich auf die Krankenstation. Bestimmt hast du noch zu viel Teufelsblut in dir. Je schneller du es loswirst, umso besser. Der Bader wird dich zur Ader lassen.» Seine Stimme klang sanfter als zuvor. Er wandte sich an Friedlind und herrschte sie an: «Du und die Tauben aber bleiben hier. Geht das noch in deinen Kopf, Friedlind? Ihr drei sortiert weiter Korn. Ist das klar?»
«Ja, wir bleiben hier.» Friedlind stieß die beiden Männer an, von denen einer so schnell nickte wie ein pickender Specht.
Mit gemischten Gefühlen folgte Hanna dem Verwalter die Tennenstiege hinab. Die Bewegung tat gut und schwächte die aufdringlichen Empfindungen ab. Auf der anderen Seite grauste es ihr vor dem Aderlass. Es wäre der zweite. Den ersten hatte sie gleich nach der Einlieferung über sich ergehen lassen müssen. Ihr war übel davon geworden, und noch am Morgen darauf musste sie gegen Schwindelanfälle ankämpfen.
Aber lieber ist mir übel und schwindelig, als dass michwieder eine Vision überwältigt, dachte sie. Sonst ist es aus. Dann ist Hanna Völz als Jungfer abgestempelt, die der Teufel in seinen Klauen hält.
Sie folgte dem Zehntscheuer-Verwalter über den Hof und kam gerade am Schaffnerhaus vorbei, dem Sitz der Spitalverwaltung, da ging dort die Tür auf.
«Hanna!»
«Valentin! Mein Retter!» Sie eilte die Stufen zum Hochparterre hoch und fiel ihm um den Hals, so erleichtert war sie, endlich ein ihr vertrautes Gesicht zu sehen. «Wenigstens einer, der an mich denkt. Ich fühle mich hier wie lebendig begraben. Wo ist Arndt? Und was weißt du von Marie?»
«Arndt muss ja
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