Das Gesicht des Teufels
Heilig-Kreuz-Reliquie schwitzt Blut. Denkt doch: Blut!» Mit vor Begeisterung gerötetem und schweißnassem Gesicht drängte er sich an Ulrich vorbei und breitete die Arme aus. «Hanna! Deine Worte scheinen sich erfüllt zu haben. Der Herr hat durch dich gesprochen!»
Er umarmte Hanna und machte Anstalten, ihr zu Füßen zu fallen, doch der Spitalmeister konnte ihn gerade noch davon abhalten. Er drängte den Kaplan zurück und warf Ulrich einen kurzen, bedeutungsvollen Blick zu.
«Loben wir sie lieber nicht zu früh», sagte er an ihn gewandt. «Hier will doch nur jemand mit einem üblen Spiel Politik machen. Aber einmal davon abgesehen: Wenn sich herumspricht, hier im Spital lebe die Seherin eines Blutwunders, wird das Volk sie in Stücke reißen oder sich gegenseitig tottrampeln, nur um einen Zipfel ihres Kleides zu berühren.»
«In der Tat. Was machen wir also?» Ulrich und der Spitalmeister wechselten schnelle Blicke, denn Kaplan Ott hatte Hanna vor den Altar gezogen, um mit ihr ein Ave-Maria zu beten.
«Ich weiß nur eins: Wir müssen schnell handeln. Der Sakristan hat den Mund nicht halten können, die Jacobspilger ziehen bereits singend durch die Stadt. Schon vorein paar Tagen lärmte hier ein Grüppchen von Frauen. Sie hatten Wind von Hanna Völz’ Worten bekommen.»
«Ich weiß. Ich war dabei. Kennt Ihr Doktor Carlstadt?»
«Das sogenannte böse ABC?»
«Interessant. Der Rat nennt ihn wohl so?»
«Ja.» Der Spitalmeister lächelte maliziös. Er war Mitglied des Rats und galt als vernunftbetonter Mann, dem jeglicher Fanatismus zuwider war. Ulrich spürte, dass er Hanna lieber heute als morgen aus dem Spital haben würde – und gerade dies brachte ihn auf eine Idee.
«Hanna Völz?», fragte er bewusst streng, ungeachtet, dass sie und der Kaplan noch beteten. «Du hast mir gerade gestanden, deine Worte wären fromme Bilder gewesen, aber keine eigentlichen Gesichte …»
«Ja, ich habe Zuflucht zu ihnen genommen. Das können Kaplan Ott und der Spitalbader bezeugen.» Hanna war zusammengezuckt, aber Ulrichs blitzende Augen verrieten ihr, dass er sich gerade bewusst verstellte. Ihr eindringlicher Blick wiederum ließ ihn zu Boden schauen, trotzdem entging ihr nicht, wie sehr er sich bemühen musste, ernst und streng zu wirken. «Ich begreife ja nun auch, um was es geht, aber …»
«Nichts begreifst du, Hanna Völz.» Der Spitalmeister klang gereizt. «Zerbrich dir bloß nicht den Kopf über Dinge, von denen eine einfache Köhlerin gar nichts verstehen kann! Herrgott, du hast schon für genug Unruhe gesorgt. Der Hegemeister hat sich bestimmt nicht vorstellen können, was er da angerichtet hat, als er dich zu uns bringen ließ.»
«Dafür kann sie ja nun nichts.» Ulrich klang ruhig und beherrscht, aber er strich sich das Kinn, so sehr zuckte ihm der Mund. «Muss der Bader sie auch derart unmäßig zur Ader lassen? Da spricht man schon einmal verquer.»
«Ja, schon. Aber auch wenn es nur Worte sind, einmal ausgesprochen, gären sie in den Köpfen weiter.»
«Spitalmeister! Wollt Ihr damit sagen, Ihr gebt jetzt doch etwas darauf?»
«Unsinn.»
«Dann habe ich eine Idee: Wir sollten sie selbst die Reliquie untersuchen lassen.»
«Und dann?»
«Wird sie vor versammelter Priesterschaft und Ratsprediger Teuschlin erklären, dass das Blut nur aufgetragen oder wahrscheinlich sogar Farbe ist. Da wir Deutschherren bekanntlich das Patronat über St. Jacob haben, könnte ich auf dieser Probe bestehen. Wir machen ein wenig Theater und entlarven damit all diejenigen, die eine Köhlerin für ihre Zwecke benutzen wollen. Hinterher werden wir sie zu den Dominikanerinnen schaffen, bis sich die Lage beruhigt hat.»
«Schlau, Ritter von Detwang. So soll es sein.»
«Sie wird in Entzückung fallen», flüsterte Kaplan Ott, der noch immer kniete. «Sie ist gebenedeit … eine reine Jungfrau … trunken vom Blut des Herrn …»
Ulrich und der Spitalmeister wechselten betretene Blicke, während Spitalkaplan Ott sich an eine selbstgedichtete Marienlitanei verlor. Bestürzt schlug Hanna sich die Hand vor den Mund. Spitalkaplan Ott glühte, in seinen Mundwinkeln bildeten sich kleine Bläschen. Behutsam hakten Ulrich und der Spitalmeister ihn unter und zogen ihn hoch. Sie stützten ihn auf dem Gang und mussten ihm gleich erneut auf die Beine helfen, weil er nach wenigen Schritten zusammenbrach.
«Der Bader ist auch so ein Kandidat», hörte sie den Spitalmeister murmeln. «Wer hier nicht irgendwann
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