Das Gesicht des Teufels
herauskommt, wird krank. Es geht auf die Seele. Man wird toll.»
Es war so weit. Am Tag, an dem sie eigentlich zur Ader gelassen werden sollte, stand Hanna vor dem Tor zur Spitalgasse. Sie trug ein neues, aber betont schlichtes Kleid, ihr Haar zierte eine bewusst abgetragene, geflickte Haube.
«Mach deine Sache gut, Hanna Völz», verabschiedete sie der Spitalmeister und zupfte ihr die Haube zurecht, damit der Myrtenkranz zum Vorschein kam, der ihr geflochtenes Haar zierte. «Du weißt, was auf dem Spiel steht. Sprich nur, wenn du gefragt wirst.»
«Ich werde Euch nicht enttäuschen.»
«Dann geh mit Gott.»
Hanna klopfte das Herz. Sie hob den Kopf und trat durch das Tor. Ihr erster Blick galt Ulrich, der in der Mitte der Straße stand. Ihr schoss das Blut in den Kopf, so heftig berührte sie sein aufleuchtendes Gesicht. Sie musste den Wunsch unterdrücken, sich ihm in die Arme zu werfen, andererseits wurde ihr leicht schwindlig, als sie der Menschenmassen gewahr wurde, die von Stadtbütteln und Hegereitern zurückgehalten wurden.
Niemand scherte sich um den trüben Novembertag, alle wollten die Frau sehen, die von den einen als Hexe beschimpft, von anderen dagegen als fromme Seherin verteidigt wurde.
«Da ist sie!»
Die Stimme war wie ein Schlachtruf und zog Pfiffe und Geschrei nach sich. Nur mühsam hielt die Kette aus Stadtbütteln und Hegereitern die Menge zurück. Die einen schrien ihr Namen zu, für die sie beten sollte, andere warfen in Tücher gehüllte Kiesel, Spielzeug, Kämme, Löffel, sogar Münzen.
Der Spitalmeister hatte ihr eingeschärft, alles liegen zu lassen und nichts zu berühren.
«Ruhig bleiben», raunte Ulrich ihr zu.
Er und andere Deutsche Ritter hatten sie in die Mittegenommen. Zügig schritten sie die Spitalgasse entlang, in der Berittene und Soldaten aufmarschiert waren. Ständig prasselten irgendwelche Gegenstände auf sie nieder. Der Lärm von Trommeln und Schellenklang lag in der Luft, ab und an zogen ihr bittere Schwaden von Pechfackeln in die Nase. Hinter den Fenstern drängten sich Menschen, winkten und riefen ihren Namen. Burschen riefen ihr Anträge nach, in der Schmiedgasse landete ein warmer Schmalzkrapfen auf ihrem Kopf.
Hanna schaute weder nach rechts noch nach links. Stur schritt sie geradeaus und rang mit tiefen Atemzügen ihre Aufregung nieder. Zuweilen glaubte sie, ihre Füße berührten den Boden gar nicht mehr, dann wieder klopfte ihr das Herz so heftig, dass die Brust schmerzte.
Ich muss es aushalten, sagte sie sich immer wieder. Bald ist alles vorbei. Bei den Dominikanerinnen werde ich endlich Marie wiedersehen. Ich muss sie trösten, ihr neuen Mut machen. Das Leben wird weitergehen. Vielleicht werden Ulrich und ich bald allein sein … wir beide …
Ihr Kopf war wie taub von dem Lärm um sie herum. Sie versuchte sich vorzustellen, was passieren würde, sollte die Menge zu ihr durchbrechen, doch Ulrich und die anderen Ritter schirmten diese von ihr ab wie Kelchblätter den Stempel einer Blume.
Endlich erreichten sie den Kirchplatz mit dem St. Jacob umgebenden Kirchhof. Ulrich ging dicht hinter ihr, ein paar Mal schon hatte er ihre Hüfte berührt, so als wolle er sie in eine bestimmte Richtung lenken. Jetzt geschah es wieder. Hanna schloss die Augen, atmete tief ein und aus. Sie wünschte sich, seine Hand würde sie führen, schieben, halten …, doch schon im nächsten Augenblick hatte Ulrich sie wieder zurückgezogen.
Plötzlich tat sich im Längsschiff eine Seitentür auf. DerSakristan winkte ihnen. Hanna schlug Weihrauchduft entgegen, im Dunkel der Kirche schimmerten Kerzen.
Im Kirchenschiff herrschte ein noch größeres Gedränge als draußen. Vor der Chorschranke knieten Jacobspilger, die Hanna an ihren breitkrempigen Hüten und dem langen Stock erkannte. Sie schaute auf das Glasfenster in der Mitte des Chorschlusses, das den heiligen Jacob und die heilige Elisabeth, die Schutzpatronin des Deutschen Ordens, zeigte.
Steht mir bei, rief Hanna ihnen zu, als sie durch die Tür der Chorschranke schlüpfte. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Ulrich seinen Platz im Gestühl aufsuchte – neben zahlreichen anderen Rittern, Pfarrern und Patriziern.
Groß ragte der Schnitzaltar Tilman Riemenschneiders vor ihr auf, halb verdeckt von einer riesigen Klappleiter. Sie ragte weit über das Altarretabel hinaus.
Da also muss ich hinauf!
Hannas Blick glitt über die geschnitzten Apostelfiguren. Sie hatten das Ostermahl beendet, Jesus’
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