Das Gesicht des Teufels
weit gelaufen und vom Weg abgekommen.»
«Ach … und weil hier niemand war, habt Ihr Euch einfach eingenistet», fiel ihr Hanna gereizt ins Wort und musterte Ursula misstrauisch.
«Ich geh ja schon.»
Ursula erhob sich. Hanna schaute zu, wie sie die Decken auf der Bettstatt zusammenlegte und sich dann die Stiefel überzog. Sie war in etwa so alt wie sie und hatte ein rundes Gesicht mit großen traurigen Augen.
«Ihr wollt also nach Windelsbach …», begann Hanna gedehnt.
«Ja.»
«Warum seid Ihr nicht gleich am nächsten Tag weitergezogen, nachdem Ihr hier übernachtet habt?»
Ursula schaute auf. «Weil mein Vater nicht unbedingt jubeln wird, wenn er mich wieder an seinem Tisch hat. Ein Esser mehr eben. Ich bin die Älteste von vieren.»
«Wovon habt Ihr hier denn gelebt?»
«Von einem Laib Brot, einem Säckchen Mehl und einem Viertel Käse. Aber jetzt ist alles aufgegessen.»
«Wer arbeitet, soll essen», sagte Hanna bestimmt. «Ich bin Köhlerin. Muss die Meiler neu bauen, neue Kohle machen. Wenn Ihr mir helft, könnt Ihr bleiben. Aber wisst Ihr, was das heißt? Wenig Schlaf!»
«Ist das Euer Ernst?»
Ursula konnte nur flüstern, ihre Augen aber begannen sich sofort mit Tränen zu füllen.
«Aber ja.» Ohne länger zu überlegen, ließ Hanna ihr Misstrauen hinter sich. «Also, ich bin die Hanna Völz. Und mein Bruder gehört auch zu denen, die nur diesesogenannte Sache im Kopf haben. Weißt du, Ursula, hier draußen sind wir arm, aber frei. Gerade komme ich aus der Stadt, und da habe ich Sachen gesehen … Nein, der Rest der Welt kann uns gestohlen bleiben. Wir können alleine für uns sorgen. Wer sagt, jede Frau brauche einen Mann, redet Unsinn. Und jetzt lass mich Feuer machen. Damit Leben in die Hütte kommt.»
18
Marie war wieder einmal am Kobolzeller Steig außerhalb der Stadtmauer. Sie strich durch die Rebzeilen und stopfte sich hie und da eine der übersehenen zuckersüßen Beeren in den Mund. Leider waren sie so eisig, dass es ihr jedes Mal an den Zähnen zog, aber das konnte auch nicht anders sein, denn es war kalt, sehr kalt sogar. Ein frostiger Tag mit Sonne, aber viel Raureif, der an manchen Rebruten geheimnisvoll in allen Farben des Regenbogens aufleuchtete.
Er war es, dachte sie trotzig. Er hat gebellt, und ich habe es gehört. Irgendwann wird er wieder bellen. Babur lebt.
Längst hatte sie die wenigen Winzer, die sie in den Reben beim Rutenheften oder Misten angetroffen hatte, gefragt, jedes Mal aber dieselbe Antwort bekommen: Wir kennen keinen Hund, der so aussieht, und wir haben auch von niemandem gehört, der solch einen Hund gesund gepflegt hat.
Marie blieb stehen und lauschte erneut. Sie gab die Hoffnung nicht auf, obwohl die beiden Küchenschwestern ihr immer wieder einreden wollten, es wäre besser, einen neuen Hund lieb zu haben, als einem verschollenen nachzutrauern.
Als sollten Schwester Rahel und Gisela recht behalten, erscholl plötzlich wildes Gebell. Ein schwarzer Hund bog um die Ecke und hielt geradewegs auf sie zu. Eine heisere Männerstimme rief ihm hinterher, aber der Hund hörte nicht. Marie sah mit einem Blick, dass es ein junger Hund war und keine Gefahr von ihm ausging. Er sprang kurz an ihr hoch, dann fegte er um sie herum, strahlte, bellte.
«Jaja, du bist lieb und willst mir etwas zeigen», rief Marie und rannte dem Hund hinterher. Er sah sich nach ihr um, rannte zurück, tänzelte um sie herum und bellte unablässig.
Schließlich verschwand er in einem der kleinen Winzerhäuschen, wo die Weingärtner Gerätschaften wie Bütten, Harken, Hacken, Scheren aufbewahrten.
«Er tut nichts», hörte Marie noch einmal die heisere Männerstimme. «Er hat halt Angst um mich.» Als Marie in das Häuschen trat, sah sie einen Mann vor einer Feuerstelle knien. Er trug nur Socken und ein dickes langes Hemd. Fahrig stocherte er in der Glut, dann schrie er heiser auf und begann sich unter dem Hemd zu kratzen. «Es wird schlimmer, immer schlimmer. Als ob ich mich schälen muss!»
Verzweifelt entblößte er seine wundgekratzten Arme, die sein Hund ihm liebevoll leckte. Marie wagte keinen Schritt weiter, sie war wie erstarrt. Entsetzt sah sie, wie dem Mann ein Stück glühende Kohle auf die Socke fiel und sich bis auf die Haut durchfraß, ohne dass der Mann es anscheinend bemerkte.
«Es ist die Brandseuche, verstehst du? Das Feuer des Antonius. Bald bin ich tot. Tot. Aber ich will hier sterben. Bei meinen Reben und meinem Hund.»
Der Mann schluchzte auf und
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