Das Gesicht des Teufels
weißt, wie umworben er jetzt ist. Da sind das Fräulein von Lohr, das Fräulein von Lichtel …, mit der Frederike von Neustett versteht er sich ja am besten. Unsere Familien sind befreundet.»
Sie ließ Hanna einfach stehen.
Die sah ihr nach und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen, aber es gelang ihr nicht. Hanna fühlte sich, als sei sie in einen Zuber voll eiskalten Wassers gestoßen worden. Die Worte Agathes hallten in ihr nach und schienen sich aufzublähen, obwohl es immer dieselben waren: Mit der Frederike von Neustett versteht er sich ja am besten … am besten, besten.
Hanna holte tief Luft. Sie will einfach, dass ich Ulrich aufgebe, dachte sie. Was sonst sollte sie mit dieser Einschüchterungbezwecken. Ich an ihrer Stelle würde wahrscheinlich auch so handeln.
Trotzdem musste sie gegen einen Kloß in ihrem Hals ankämpfen. Die Vernunft half nichts. Warum hast du mir letztes Mal nichts gesagt?, rief sie Ulrich in Gedanken zu. Sie griff in die Schürze und holte den Spielzeugritter heraus. Stumm schaute sie ihn an und wischte sich schließlich die Tränen aus den Augen. Der Konversenbruder, der gerade eine Schiebkarre voller alter Kohlstrünke abfuhr, rief ihr zu, sie solle nicht dumm vor sich hin glotzen, sondern ihm helfen.
Hanna küsste den Ritter und schob ihn wieder unter die Schürze.
Es ist ja gar nichts, dachte sie. Frederike von Neustett … so heißt sie eben. Bestimmt ist sie nicht so schön wie ich. Und ein großes Herz hat sie sowieso nicht.
Sie eilte zum Komposthaufen und begann die Kohlstrünke zu zerhacken. Die Arbeit tat gut. Langsam beruhigte sie sich.
Frederike …
… von Neustett …
17
In aller Herrgottsfrühe, kurz vor dem Öffnen der Stadttore, huschte sie mit einem Bündel Kleider und einer Kraxe voller Brot, Getreide, Speck und Öl durch die Klosterpforte. Es war Mitte Dezember und ein nasskalter, nebelverhangener Morgen. Hanna fror, und kaum dass hinter ihr der schwere Riegel rumpelte, machte sich ein Gefühl großer Verlorenheit in ihr breit.
Bereits nach den ersten Schritten schnitten die Riemender Kraxe scharf in ihre Schultern, zuweilen verspürte sie ein Ziehen bis in die Haarspitzen. So schnell geht’s, Hanna, sprach sie zu sich, während sie über den verwaisten Kirchplatz schritt. Das süße Leben bekommt dir nicht, die Klosterwochen haben dich verwöhnt.
Sie schob die Daumen unter die Riemen und genoss den, verführerischen Duft des frisch geräucherten Specks. Sie überschlug, wie lange die Lebensmittel reichen würden, und erinnerte sich daran, dass sie an der alten Eiche noch ein geheimes Geldtöpfchen vergraben hatte. Ihre Laune besserte sich. In Wahrheit müsste ich vor Glück kaum laufen können, dachte sie. Marie darf als Ulrichs Mantelkind weiterhin im Kloster leben, sie ist in Sicherheit! Braucht keine Not mehr zu fürchten!
Aber ich?
Ein feines Klirren am Ende der Hafengasse ließ sie den Kopf heben. Düster und drohend streckte sich der von niedrigen Pechflammen erhellte Markusturm in den sternenlosen schwarzen Himmel. Die dicken Mauern warfen Schatten, in denen sie die Schemen zweier Männer ausmachte. Sie trugen helle Kapuzenmäntel, die sie wie Henker aussehen ließen.
Hanna verlangsamte ihre Schritte, ihr Atem warf lange Fahnen. Die beiden Männer drehten sich kurz zu ihr um und beugten sich dann wieder über einen Zweiradkarren. Beim Nähertreten sah Hanna, was für eine Fracht er trug: zwei tote Kinder, beide nackt. Ihre ausgemergelten und bläulich angelaufenen Körper gingen bereits in die Totenstarre über. Gewaltsam wurden ihnen die Arme mit einer Kette umschlungen und am Leib festgezurrt.
«Verhungert sind sie», hörte sie einen der Kapuzenmänner sagen.
Er drehte sich zu ihr um. «Und Ihr? Was habt Ihr um diese Zeit hier zu schaffen?»
«Ich will nach Neusitz.»
«So früh?»
«Ist das verboten?»
«Nein, nein. Aber wie es so aus Eurer Kraxe riecht … richtig gut. Nach sattem Bauch. Deswegen wollt Ihr nicht gesehen werden, wie? Damit Euch keiner einen Prügel über den Kopf zieht und beraubt.»
«So seht Ihr das? Muss ich mich jetzt vor Euch fürchten?», fragte Hanna ausweichend. «Wohl doch nicht, oder? Sagt lieber, was es mit den toten Kindern auf sich hat.»
«Wir sammeln ein, was zuweilen auf der Straße liegt. Und heute ist es kein erschlagener Hund oder eine Katze, heute sind es zwei Kinder. Vorgestern war es eine alte Frau. Die Toten lehnen an der Hauswand und tun, als ob sie schliefen.
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