Das Gesicht des Teufels
begann, wie irr zu lachen. Es klang so entsetzlich, dass Marie aus ihrer Erstarrung gerissen wurde und davonrannte. Erst am Plönlein hattesie sich wieder so weit gefasst, dass sie langsamer lief. Sie verschnaufte vor dem Eingang der Plönlein-Schänke, froh, dass es hier etwas zu sehen gab, das sie von dem fürchterlichen Mann ablenken konnte.
Da gibt es was umsonst, dachte sie und reckte den Kopf.
Bauern und Häcker drängten sich vor einem Planwagen, aus dem ein junger Bursche mit einer Handscheffel Getreide in die ihm entgegengestreckten Säcke schaufelte. Über jeden Sack schlug der blinde Mönch, der daneben stand, das Kreuzzeichen. Marie zählte mit. Jeder bekam sechs Scheffelschaufeln Korn, und wer sie eingeheimst hatte, dem leuchteten glücklich die Augen.
Plötzlich war Hufschlag zu hören.
«Da ist er!», schrie eine Frau begeistert und zeigte in die Schmiedgasse.
Die Menge machte Platz, einige klatschten, andere gar fielen auf die Knie und rangen die Hände. Maries Herz begann wie wild zu klopfen, denn sie kannte den Mann, der sich da feiern ließ: Es war niemand anders als der Patrizier, den sie beim Herren-Müller gesehen hatte.
Das ist doch Jacob Aufreiter, schoss es ihr durch den Kopf. Der, der vom Herren-Müller das Getreide hat.
«Liebe Rothenburger!», hörte sie ihn vom hohen Ross herunterreden, «wir alle müssen zusammenstehen, wenn Gott uns Prüfungen auferlegt. Eben weil er sehen möchte, ob wir seine Gnade auch verdienen. Nehmt also mein Korn, ohne zu zögern, an. Ich gebe es gerne. Solange ich in der Stadt für das Gesetz zuständig bin, kämpfe ich dafür, dass auch die Armen das Recht bekommen, nicht Hunger leiden zu müssen.»
Marie konnte kaum glauben, was sie da hörte. Hatte dieser Jacob Aufreiter also doch ein gutes Herz? Warum aber hat er das dann damals alles so geheim machenmüssen?, fragte sie sich, und warum hat mich der Müller so misstrauisch gefragt, ob ich sie beide belauscht hätte?
Doch so angestrengt sie auch überlegte, sie konnte sich keinen Reim darauf machen. Sie sah nur, wie glücklich und dankbar die Menschen waren, etwas geschenkt zu bekommen. Aus allen Himmelsrichtungen liefen sie am Plönlein zusammen, selbst noch, als Jacob Aufreiter wieder davongeritten war.
Vielleicht sind dieser Aufreiter und selbst der Herren-Müller ja doch nicht so schlecht, wie Hanna und ich dachten, sagte sie sich. Und wenn ein Mönch jedes Säckchen segnet, wird es schon alles mit rechten Dingen zugehen.
Sie wollte schon weitergehen, doch da hörte sie wieder Hundegebell – dasselbe wie vorhin in den Reben. Marie bekam einen tüchtigen Schreck, doch schnell hatte sie sich wieder beruhigt. Ich bin ja nicht allein hier, dachte sie. Und der Hund mag mich ja.
Das Gebell wurde lauter. Ein Lächeln umspielte Maries Mund. Wenn es doch bloß Babur wäre …, aber natürlich war es nur der schwarze Hund. Verspielt sprang er auf dem Platz herum, schnüffelte jeden an und ließ sich streicheln.
Nach einer Weile trat sie aus dem Eingang der Plönlein-Schänke. Sofort kam der Hund auf sie zu.
«Soll ich für dein Herrchen Hilfe holen? Weißt du, er ist krank.»
Der Hund jaulte einmal und stieß ihr die Schnauze in den Schoß.
«He du, das ist der Brio vom Matthias Anger», sprach sie ein Mann mit blutroter Nasenspitze und roten Ohren an. Er hinkte und trug einen vielfach geflickten Mantel. «Wir haben ihn schon gesucht. Weißt du, wo er ist?»
«Bei den Reben. In seinem Winzerhäuschen.»
«Himmel, was tut er denn da?»
«Das weiß ich nicht. Er ist … so seltsam.»
«Du, ich bin sein Freund.»
Marie wich ein paar Schritte zurück, denn der Mann klang eher aufgebracht als freundlich, fast schon, als wolle er sie dafür verantwortlich machen, dass es seinem Freund schlechtging. Aber da tauchte auch schon Matthias Anger auf, unverändert in Socken und nur mit dem Hemd bekleidet. Er fuchtelte wild mit den Armen und hatte einen seltsam eckigen und schwerfälligen Gang, der Marie an den eines Tanzbären an der Kette erinnerte.
«Nehmt es nicht!», brüllte er und knickte mitten auf der Plönlein-Kreuzung in die Knie. «Es ist kein gutes Korn. Ins Feuer damit, damit ihr kein Feuer bekommt!» Er rappelte sich wieder auf, riss sein Hemd hoch und zeigte seinen blutig gekratzten Leib. «Erst kribbelt es, den Tag darauf brannten mir die Beine. Jetzt werden sie steif!»
Er kratzte sich mit seinen klauenartigen Händen den Schorf auf und schlurfte zum Brunnen. Marie lief es kalt
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