Das Gesicht des Teufels
Dabei sind sie erfroren. Das aber auch nur, weil sie verhungert sind. Und verhungert sind sie, weil sie Bettler waren.»
«In Rothenburg ist Betteln aber doch verboten. Ich dachte, der Bettelvogt sei streng?»
«Zu Fremden schon. Aber was tun wohl all die, die vor den Klöstern anstehen?»
Hanna schwieg. Langsam ging sie weiter. Der Blick zur offen stehenden Tür des Büttelhauses sagte ihr, dass die beiden Männer im Auftrag der Stadt arbeiteten.
Bestimmt verdienen sie sich bei diesen frühmorgendlichen Rundgängen etwas dazu, dachte sie. Normalerweise sammelt der Henker Tote ein. Aber steht es wirklich schon so schlimm um Stadt und Land, dass er mit dem Sammeln nicht mehr nachkommt?
Frühaufsteher schöpften am Röderbrunnen Wasser. Schüsseln und Eimer wurden im Gossengraben geleert, über dem Platz hing der Geruch nach Erbrochenem und anderen Ausscheidungen. Hanna fiel auf, dass diese Menschen allesamt zu den Armen zählten. Sie hörte, wie zweiFrauen sich unterhielten. «Ja, gestern ging es los. Erst oben raus und dann unten.»
«Bei meinem nur oben. Aber dafür hat er Kopfschmerzen.»
«Kopfschmerzen?», fragte eine dritte Frau. Sie warf Hanna einen müden, aber auch neidischen Blick zu. «Die hab ich seit gestern Mittag. Und es wird immer schlimmer. Ich könnte mich gleich hinlegen.»
«Haben wir alle das Gleiche gegessen?», fragte die erste Frau wieder. «Ich hab eine Mehlsuppe gemacht.»
«Biersuppe.»
«Weil Geburtstag war, hab ich einen Kuchen gebacken. Aber nach was duftet es hier so gut?»
«Nach Speck. Da vorne geht sie.»
Hanna drehte sich um und begann zu laufen.
Weg aus der Stadt, dachte sie. Hier werden alle krank.
Kurz vor dem Rödertor sah sie eine Hebamme in ein Haus eilen. Und nur einen Augenblick später hörte sie eine verzweifelte Männerstimme schreien, Gott sei eine Bestie. Kinder weinten. Da flog das Fenster des kleinen Fachwerkhauses auf, und eine alte Frau rief: «Sie hat es verloren. Verloren! Gott hat es uns weggenommen. Wieder. Immer wieder!»
Hanna lief ein Schauder über den Rücken. Als ob der Teufel umgeht, dachte sie und bekreuzigte sich. Oder etwas anderes Böses.
Ein trüber Streifen Grau zeigte sich im Osten. Schneller konnte sie jetzt nicht mehr laufen, sonst hätte sie rennen müssen. Hannas Herz schlug schneller, je näher sie Neusitz kam. Nieselregen setzte ein, doch es blieb dunkel. Es war, als habe der Tag vergessen, dass die Nacht vorüber war. Als sie den Waldrand erreichte, wurde Hanna leicht ums Herz. Noch nie hatte sie sich so sehr darauf gefreut,nach Hause zu kommen, und als sie endlich den Waldgürtel hinter sich gelassen hatte und die Lichtung samt Hütte in Sicht kam, begann sie innerlich zu jubeln.
Was will ich mehr, dachte sie zufrieden und betrachtete mit glänzenden Augen den neu errichteten Giebel. Als sie eintrat, empfing sie ein aufgeräumter Raum mit sauber verputzten Lehmwänden. Und obwohl es schummrig war, bemerkte sie sofort, dass die Rahmen der beiden Fenster neu mit Lehm abgedichtet waren und die Fensterläden nicht mehr schief in den Angeln hingen. Es roch angenehm nach frischer Erde und Holz, und die Aschepyramide auf der Herdstelle schimmerte in frischem Weiß.
Hanna schnallte ihre Kraxe ab und lehnte sie gegen die Vorratstruhe.
«Guten Morgen.» Die Stimme war sanft, trotzdem schrie Hanna auf vor Schreck. Sie fuhr herum: Eine junge Frau saß im Schneidersitz auf einer der Bettstellen und streckte schutzlos die Arme nach ihr aus. «Bitte habt keine Angst. Ich verschwinde sofort.»
«Wer seid Ihr?»
«Ursula Neusser aus Ohrenbach.»
«Ja, und?» Hannas Stimme zitterte noch, so sehr war ihr der Schreck in die Glieder gefahren.
«Ich lebe seit ein paar Tagen hier. Ich bin meinem Mann Simon weggelaufen. Hab es nicht mehr ausgehalten. Er hatte nur noch die Sache, wie er immer sagte, im Kopf, ansonsten war ich für ihn nur eine Matratze.»
«Die Sache?», fragte Hanna ungläubig. «Gehört er etwa auch zu denen? Anscheinend rotten sich jetzt immer mehr zusammen. Was wollen sie? Alles kurz und klein schlagen und den roten Hahn auf den Gütern krähen lassen?»
«Bestimmt. Sie würden es den Schwarzwälder Bauern gleichtun und Herren und Kirche einheizen, hat Simon gesagt. Ich hab ihn ängstlich angeschaut und nur ein wenigden Kopf geschüttelt, da packte ihn eine Heidenwut, und er hat mich geschlagen. Noch in der Nacht bin ich davongelaufen. Ich wollte nach Windelsbach zu meinen Eltern zurück, aber irgendwie bin ich zu
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