Das Gesicht des Teufels
Zudringlichkeit sein Korn verhext.»
«Von der Seherin zur Hexe», flüsterte Hanna. «Arndt hat mich gewarnt.»
Marie riss kichernd die Tür auf, zielte und holte aus: Der Schneeball zerplatzte an Bernwards Brust.
«Jetzt bist du dran, du Wildfang.»
Marie kreischte vor Vergnügen, als Bernward ihr nachsetzte. Hanna hörte sie quietschen und lachen, Bernward prustete. Bald mischte sich Ursula ins Spiel, die Bälle flogen, es wurde getobt und gelacht.
Hanna blieb wie gebannt auf der Stelle stehen. Angst und Hoffnung stritten in ihrer Brust, ihr Kopf aber war leer. Erst als Bernward Marie, als hätte er ein Bündel Reisig unter dem Arm, in die Hütte trug, spielte wieder ein Lächeln um ihre Lippen.
20
Es war ein Leichtes für sie, sich alle möglichen Schreckensszenarien auszumalen – vor allem nachts, wenn sie vor der Herdstatt döste. Einmal sah sie sich kopfüber im Feuerschacht eines Meilers stecken, ein andermal sich an einem Ast über dem Grab ihres Vaters zu Tode zappeln, dann wieder verblutete sie langsam im Schnee, weil man ihr Finger und Zehen abgehackt hatte. Doch Bernward behielt recht: Das anstehende Weihnachtsfest stimmte die Menschen versöhnlich. Hannas Ängste, von einer antoniusfeuergeschädigten aufgestachelten Menschenhorde aus dem Schlaf gerissen zu werden, wurden von Tag zu Tag weniger.
Umso dankbarer war sie, dass das Schicksal ihr Ursula geschickt hatte. Die Ohrenbacherin war so robust wie bodenständig und gab Hanna mehr als einmal zuverstehen, dass sie deren Gesichte nicht beeindruckten. Selbst die Gefahr, als Hexe angeklagt werden zu können, ließ sie kalt, und am Tag vor Weihnachten sagte sie ungerührt: «Ich weiß ja, dass du keine bist. Warum soll ich mich dann fürchten? Hab bloß keine Angst. Ich werd schon für dich aussagen … und dann hast du ja noch deinen Ritter.»
Sie ernteten gerade einen Meiler ab, es war nach vier Tagen windigem Wetter, trübem Himmel und viel Schnee der erste sonnige Tag. Knietief bedeckte die weiße Pracht die Lichtung und verwandelte die kohligen Gerippe in Märchengestalten. Die Welt war wunderbar still, der Schnee trocken, und es machte Spaß, ihn wie Puder in die Luft zu werfen.
«Welchen Festschmaus wollen wir uns eigentlich gönnen?», fragte Ursula und rubbelte ihre rußigen Hände mit Schnee ab.
«Da hoffe ich doch, dass uns wenigstens zwei Hühner zufliegen», scherzte Hanna. «Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Einer von uns müsste ins Dorf, um Brot zu kaufen. Drei Kreuzer kann ich beisteuern.» Sie beugte sich über den schwach rauchenden Feuerschacht und hieb den Kohlepickel in einen der Kohlestämme. Gemeinsam zogen sie ihn hoch, denn auch wenn ein verschwelter Stamm nur noch ein Viertel seines ursprünglichen Gewichts besaß – warum unnütz Kraft verschwenden? «Ach, Ursula, es lebt sich zu zweit einfach schöner als allein», fuhr sie fort, während sie den Kohlestamm kurz im Schnee rollten und dann in den Kohlelagerschuppen trugen. «Die Arbeit fällt leichter, Essen und Trinken schmecken besser, und unsere kurzen Schlafphasen sind entspannter.»
«Schon, aber ein Mann hat auch so seinen Nutzen.»
«An so etwas denkst du?»
Ursula antwortete nicht mehr. Sie hatte sich vorgenommen,dieses für Hanna schlüpfrige oder sogar peinliche Thema zu meiden, nun hatte sie leider doch nicht den Mund halten können. Zum Glück nahm Hanna es ihr nicht übel. Sie stemmte die Hände in die Hüften und schaute sie freundlich an. «Wir sehen einer ruhigen und friedlichen letzten Jahreswoche entgegen», fuhr sie fort, als wäre nichts weiter gewesen, «zumindest sagt das die Bauernregel: Wie’s Wetter zu Adam und Eva war, so bleibt es wohl bis zum End vom Jahr. Also kalt und sonnig, prächtigstes Winterwetter. Wäre Marie hier, wir könnten am Karrachgraben Schlitten fahren.»
«Was sie wohl noch lieber mit ihrem Babur machen würde, wie?»
«Ja, ich würde es ihr so wünschen. Dieses Wunder, dass er plötzlich hier auftaucht, mir die Schnauze in die Seite stupst und mit den Augen spricht: Komm mit und sag mir, wo ich Marie finden kann.»
«Wenn er jetzt hier wäre, ob er sie finden würde, wenn du ihm befehlen würdest: Such, Babur, such die Marie?»
Hanna wurde nachdenklich. Sie überlegte eine Weile, lauschte in sich hinein. Auf einmal beschlich sie eine eigentümliche Angst, aber nur für einen kurzen Moment. Als ob man im Marktgedränge steht und flüchtig berührt wird, dachte sie. Genauso war es gerade.
«Hoffen wir, dass
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