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Das Gesicht des Teufels

Das Gesicht des Teufels

Titel: Das Gesicht des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kay Cordes
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er es nie muss.» Ursula sah sie erstaunt an, Hanna aber war so über ihre Antwort erschrocken, dass ein Zittern ihren Körper erfasste. Sie schüttelte sich, tat, als würde sie frösteln, bückte sich, versuchte, einen Schneeball zu formen. Ein feiner Luftzug ließ den Schnee von den Baumgerippen stieben, gleichzeitig war das Licht so grell, dass es in den Augen schmerzte. «Ich habe heute noch gar nicht Vaters Grab besucht», sagte sie hastig. «Das muss ich jetzt nachholen. Danach gehen wir ins Dorf und kaufen ein, einverstanden?»
    «Du bist hier die Herrin.»
    Hanna stapfte los, schließlich begann sie zu rennen. Wie vor dem Beben breitete sie die Arme aus und rannte auf die schneegleißende Lichtung. Sie ließ den Schnee stieben und genoss, wie die kühlen Kristalle auf ihrem Gesicht schmolzen. Sie bückte sich und rubbelte sich das Gesicht mit Schnee ab, bis ihre Finger vor Kälte gefühllos waren.
    Was für ein herrlicher Tag! Dieser makellose blaue Himmel und dieser feingewebte lichte Schatten unter der Eiche. So angsterfüllt sie gerade noch gewesen war, so leicht war ihr jetzt ums Herz. Hier unter der Eiche fühlte sie sich geborgen, und die im Gegenlicht weißgolden glänzenden Schneeschleier, die von den Ästen herabwehten, schienen allein für sie zu flüstern: Hanna, die Welt ist schön, genieße jeden Augenblick, den Gott dir geschenkt hat.
    Sie trampelte einen Rahmen um das Grab, streichelte sanft dessen weichgewölbte Schneedecke. Schließlich kniete sie nieder und betete. Doch nach einem Ave-Maria und einem Vaterunser konnte sie sich nicht mehr konzentrieren. Sie erhob sich wieder und trat an den mächtigen Stamm. Ohne zu zögern legte sie die Hand auf die Borke und strich sanft darüber. Aus einer plötzlichen Laune heraus knabberte sie schließlich etwas Borke ab und zerkaute sie mit den Schneidezähnen.
    Wie bitter, dachte sie. Und wie närrisch. Ursula würde natürlich sagen, dir fehlt dein Ritter, Hanna   … Vielleicht hat sie ja sogar recht? Verwegen lächelnd schmiegte sie sich an den Stamm. Sie schloss die Augen und versuchte mit allen Sinnen, die Aura des Baumes aufzunehmen. Warum soll ich dich nicht umarmen, Eiche, sprach sie halblaut. Selbst wenn ich dich küsste? Küssen wir nicht auch kalten Schmuck, morsche Gebeine, ja selbst Tote?
    Sie presste die Lippen gegen den Stamm, ihre Zungenspitze schnellte vor.
    Kichernd schlug sie sich die Hand vor den Mund und stapfte zurück in die gleißende Helligkeit. Sie legte den Kopf in den Nacken und drehte sich zuerst langsam, dann immer schneller um sich selbst. Jubelnd genoss sie den Schwindel, der mit blauweißen Himmels- und Schneesprenkeln an ihren Augen vorbeiwischte. Traumlang kam ihr der Sturz vor, und als sie in den Schnee plumpste, schien die Welt in allen Farben des Regenbogens zu schimmern.
    Erschöpft blieb sie im Schnee liegen. Erst als ihr am Rücken kalt wurde, erhob sie sich. Beinah kam es ihr vor, eingeschlafen zu sein, aber blinzelnd stellte sie fest, dass sich das Licht nicht geändert hatte.
    Keine neuen Gesichte, dachte sie zufrieden. Vielleicht ist es ab heute ja vorbei damit. Schließlich ist es Advent. Ein Windzug trug ihr den Geruch von Pferdeschweiß zu, doch nirgends war ein Pferd zu hören, geschweige denn zu sehen.
    Enttäuscht verzog sie den Mund und stapfte zurück zur Hütte. Erst schüttelte sie sich den Schnee vom Mantel, dann klopfte sie die Stiefel an der Hüttenwand ab.
    Sie trat ein.
    «Überraschung!»
    «Ulrich!» Sie flog in seine Arme. «Ich hab es mir so gewünscht. Aber wo ist Mahut?»
    «Hinterm Haus. Ursula hat sich dieses Spiel ausgedacht. Sie hat sogar die Hufspuren verwischt.»
    Sie küssten sich ungeniert, Ursula seufzte sehnsüchtig auf und ging hinaus.
    «Ihr müsst natürlich auch mitkommen, Ursula», rief Ulrich schnell, doch schon hing Hanna wieder an seinen Lippen.
    «Wohin denn?», fragte sie schließlich atemlos.
    «Zu mir aufs Gut. Bis morgen Mittag.»
    «Warum?»
    «Warum nur bis morgen? Weil ich den Hausfrieden wahren muss.» Er schaute an ihr vorbei auf die Lichtung. «Meine Mutter und meine Schwester wünschen sich am eigentlichen Festabend nur sogenannte standesgemäße Gäste. Als Ritter im Komtursrang richte ich ein Fest für Rothenburgs Deutschherren aus. Glaub mir, das ist kein Vergnügen.»
    Er vermied es, sie anzugucken, und lächelte bemüht. Doch dann strich er Hanna schnell eine Haarsträhne aus dem Gesicht und hauchte ihr einen Kuss auf die Augen. Hanna war zum Lachen

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