Das Gesicht des Teufels
und zum Weinen zumute, so schön, aber auch schmerzlich empfand sie Ulrichs Worte. Ja, ich bin nicht standesgemäß, dachte sie, und das Wort blähte sich in ihrem Kopf groß auf wie die Frösche, die manchmal von Kindern aufgeblasen wurden. Nicht standesgemäß … ich werde es nie sein.
«Wie sollen wir jemals glücklich werden, Ulrich?», flüsterte sie.
«Verzeih mir», murmelte er. «Ich habe wie ein herzloser Schreiber gesprochen, der eine gerade beschlossene Verfügung vorliest. Kalt und empfindungslos.»
«Du brauchst dich nicht entschuldigen, du sprichst doch nur die Wahrheit aus. Schone mich nicht, ich gewöhne mich daran. Alles andere wäre Lüge.»
«Sprich nicht so.» Ulrich nahm ihren Kopf zwischen seine Hände und küsste sie schmeichelnd und lockend auf den Mund. «Denk immer an deinen kleinen Ritter», raunte er ihr ins Ohr. «Er betet dich an. Selbst wenn er mal …», Ulrich zögerte, «… eine Notlüge erfinden muss oder mit anderen Frauen tanzt. Im Geiste kniet er nur vor der einen und einzigen.»
«Und Frederike von Neustett?» Sanft schob sie ihn zurückund forschte in seinem Gesicht. Ihr Herz klopfte. Sosehr sie Ulrich auch vertraute, ein wenig eifersüchtig war sie dennoch.
Liebe ist das eine, dachte sie. Die Wirklichkeit das andere.
Nicht standesgemäß …
Nicht stan-des-ge-mäß …
Ulrich schüttelte den Kopf. «Frederike ist eine Freundin. Mehr nicht. Ich habe mit ihr Äpfel und Birnen geklaut, Zaubertränke gebraut. Wir haben uns die Knie aufgeschlagen, aber auch miteinander getanzt. Früher hat sie mich sogar verhauen …»
«Und darum liebt sie dich jetzt. Die Spielgefährtin ist erwachsen geworden und hat die Liebe entdeckt.»
Ulrich schwieg und schaute zu Boden. Er nickte schwach, lächelte. Als er den Blick wieder hob, sah Hanna, wie Schmerz und Scham ihn trübten.
«Vielleicht hast du recht. Warum sollte ich ein Geheimnis daraus machen? Ich habe vor etlichen Monaten einmal um Frederike geworben. Eigentlich mehr, um meiner Mutter etwas Gutes zu tun, als aus wahren Gefühlen. Frederike aber lachte mich aus, weil sie in einen anderen Ritter verliebt war. Der aber entschied sich für ein anderes Fräulein. Jetzt scheint sie sich wohl wieder an den Spielgefährten von einst zu erinnern …, zugegeben, diesmal ohne Bart. Aber als Verlegenheitslösung bin ich mir zu schade. Gerade ein angehender Komtur muss Prinzipien haben. Vor allem, finde ich, in Angelegenheiten des Herzens.»
«Dann lass uns jetzt gehen. Damit ich es hinter mir habe.»
«Du glaubst mir nicht?»
Statt einer Antwort schmiegte sie sich leise gurrend an ihn. Ihr Kuss war innig und fordernd. Er schmeckte nach süßem Versprechen, nach Hingabe und Hoffnung.Ulrich presste Hanna an sich und wiegte sich mit ihr in den Hüften.
Plötzlich machte Hanna sich von ihm los: «Und wo ist Marie?»
«Die ist schon da.»
Ulrich führte Mahut am Zügel und folgte den beiden Frauen, die einander untergehakt hatten, um sicherer durch den Schnee zu stapfen. Die Sonne stand tief, Bäume und Sträucher gerannen zu Schattenrissen, die von feurigem Licht umflossen waren. Wenn ein Windhauch Schnee von den Ästen wehte, schien es Goldstaub zu regnen.
Hanna war sich mit Ursula einig, dass man an einem solchen Tag das Fastengebot nicht zu ernst nehmen sollte. Beide freuten sich auf die heiße Suppe und das Mahl nach der nächtlichen Mette. Jetzt traten sie aus dem Waldgürtel und schauten über die tief verschneiten Streuobstwiesen. Meisen und Sperlinge umflatterten Obstbäume, an denen verschrumpelte Äpfel hingen. Eine Katze streunte durch den Schnee, in der Ferne stoben zwei Rehe zurück in den Wald. Am steilsten Wiesenstück fuhren Kinder Schlitten. Ihr Jauchzen und Schreien, das Glöckchenbimmeln und Bellen der Hunde nahmen Hanna etwas von ihrer Anspannung.
Ich komme mit völlig leeren Händen, dachte sie. Wie demütigend. Aber was hätte ich mitbringen sollen? Einen Sack Holzkohle? Oder eine Kohlenkrippe mit einem Mohrenkind drin? Auch wenn ich mein gutes Kleid anhabe: Dass ich ein Habenichts bin, sieht man, weil ich nicht ein Stück Schmuck trage.
«Dem Valentin möchtest du jetzt bestimmt auch nicht begegnen, wie?», neckte Ursula sie und drehte sich zu Ulrich um.
«Gott bewahre!»
Kurz darauf aber, als sie auf der Höhe der Dorfschänke waren, passierte genau dies.
Die Tür flog auf, fünf Mann drängten nach draußen. Karl Leitgeb war nicht weniger angetrunken als sein Zwillingsbruder
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