Das Gesicht des Teufels
zerrten sie von der Hauswand fort und stießen sie in der Rödergasse vor sich her.
Hanna rannte los, wurde aber sofort wieder eingefangen. Grob riss man sie am Arm, dann wieder ließ man sie los.
«Tut doch was», hörte sie Hans Goltz’ Frau rufen. «Herrgott, was seid ihr alle feige!»
Schon waren sie am Röderbogen, bis zum Markusturm mit dem Büttelhaus waren es nur noch wenige Schritte, aber kein Büttel war zu sehen. Hanna traten die Tränen in die Augen, endlich aber waren mehrere Frauen an ihrer Seite, die sie vor den ruppigen armreißenden Männern schützten.
«Du warst doch am Kobolzeller Steig», rief eine. «Ich war dabei, als du das Gesicht hattest, dass die Kobolzeller Kirche geplündert werden würde. Glaubst du das wirklich? Deine Gesichte vom Antoniusfeuer und dem Blut an der Heilig-Kreuz-Reliquie haben sich erfüllt. Was weißt du also? Bitte sprich doch endlich!»
Die Frau breitete die Arme aus, um Hanna vor den heftig drängelnden Menschen zu schützen. Doch da erscholl vom Büttelhaus her der Ruf, der Stadtrichter würde gerade die Stufen herunterkommen.
«Ja, holt den Aufreiter her. Er soll sie befragen!», rief der Mann, der Hanna als Hexe beschimpft hatte.
«Genau, der Aufreiter. Es war sein Getreide. Er soll sie zur Rede stellen. Jetzt gleich!»
Hanna wurde von einem neuen Angstschub gepackt. Hörte das denn alles überhaupt nicht mehr auf?
Der Kreis vor ihr öffnete sich, Jacob Aufreiter trat auf sie zu. Im Hintergrund standen zwei Büttel, die einen an den Händen gefesselten Mann mit sich führten. Plötzlich fielen Hanna die Vorwürfe der Wilderer ein, wie brutal und unbarmherzig dieser Aufreiter in Wahrheit sei.
«Also, mach den Mund auf: Was hast du ausgefressen?», rief Jacob Aufreiter ihr mürrisch zu und kam näher.
«Nichts, ehrenwerter Herr.»
Hanna hielt den Kopf gesenkt, doch kaum dass sie aufsah, riss Jacob Aufreiter auch schon den Arm hoch. Jeder konnte sehen, wie bestürzt er war. Gemurmel erhob sich, aber schon im nächsten Augenblick hatte sich Rothenburgs oberster Jurist wieder in der Gewalt.
«Warum dann dieser Auflauf?», fragte er mit belegter Stimme und seltsam stierem Blick.
«Sie ist die Hexe, die Euer Getreide vergiftet hat, Richter!», hetzte der Mann mit den zerrissenen Ohrenklappen, doch Jacob Aufreiter tat, als habe er es nichtgehört. Schließlich schüttelte er den Kopf und sagte: «Ich habe nichts gegen sie vorliegen. Wer mehr weiß und sie stichhaltig beschuldigen kann, soll es auf dem Rathaus zu Protokoll geben.»
Er drehte sich um, da rief Hans Goltz’ Frau: «Ehrenwerter Herr, sie ist doch die mit den Gesichten. Zweimal hat sie schon recht behalten, jetzt wollen wir wissen, was die Zukunft bringt. Uns aber will sie nichts erzählen. Bestimmt, weil die nächste Zeit so schlimm wird.»
«Aha … und, hast du Gesichte?»
«Nicht mehr …»
«Aber dass du die Gabe hast, leugnest du nicht?»
«Nein … doch, ja.» Hanna kam ins Stottern, wurde rot. Irritiert bemerkte sie, wie Aufreiter sich langsam von ihr entfernte, wobei er es vermied, ihr ins Gesicht zu schauen.
«Was denn nun? Oder steht dir der Sinn danach, brave Leute gegen die göttliche Ordnung aufzuwiegeln?»
«Niemals.»
Dann wusste Hanna nicht mehr, was sie sagen sollte. Sie starrte Aufreiter an, und plötzlich hatte sie das Gefühl, diesen Mann zu kennen. Ein leichter Schwindel überfiel sie, gleichzeitig ergriff sie starkes Frösteln. Sie schlang die Arme um sich und trat zwei Schritt vor. Aufreiter wich zurück, er sah sich nach den Bütteln um.
Da rief ein Mann: «Legt sie in Ketten, Stadtrichter! Sie will Euch verhexen! Sie hat den bösen Blick.»
Wie von einem Peitschenhieb getroffen, zuckte Hanna zusammen, während Jacob Aufreiter sich abwandte und fortging. Plötzlich musste sie gegen einen Schwindelanfall ankämpfen. Da fühlte sie Schneebälle an ihrem Körper zerplatzen, hörte Kinder lachen und einen Hund bellen. Hanna kam wieder zu sich, ihr Schwindel verebbte wie ausläutende Kirchenglocken vor und nach der Messe.
Nur Schneebälle und Kinder, beruhigte sie sich. Aufreiter ist fort. Trotzdem durchwogte sie Schauder auf Schauder. Etwas tief Böses geht von diesem Stadtrichter aus, dachte sie, und das passt genau zu dem, was die Wilderer ihm nachsagen.
Fluchend riss sich der Mann seine Mütze vom Kopf und schleuderte sie in den Schnee. Auf einmal schien er der Einzige zu sein, der sie noch für eine Hexe hielt. Hans Goltz’ Frau stieß ihn
Weitere Kostenlose Bücher