Das Gesicht des Todes: Authentische Mordfälle (German Edition)
buchstäblich die Sprache. Den Mann kannte ich. Ich wusste jedoch im ersten Moment nicht, woher. Dazu muss ich sagen, dass ich mir Gesichter sehr gut merken kann. Das geht manchmal sogar so weit, dass ich im Gewühl einer Fußgängerzone ohne besonderen Anlass eine Person wahrnehme, die ich Tage später woanders wiedererkenne.
Ich brauchte ein paar Minuten, bis ich den Speicher meines Personengedächtnisses durchforstet hatte und dann wusste, dass ich vor etwa drei Monaten von dem Mann in der Herrenabteilung eines großen Kaufhauses bedient worden war. Vermutlich war er mir deshalb in Erinnerung geblieben, weil er äußerst freundlich war und mir sehr kompetent erschien. Mit viel Geduld beriet er mich beim Kauf einer Lederjacke, und als ich das gute Stück erworben hatte, ging ich trotz des stolzen Preises mit einem guten Gefühl nach Hause.
Noch in der Nacht führten wir routinemäßig die ersten Nachbarschaftsbefragungen durch. Parallel hierzu versuchten wir, möglichst viel über das Mordopfer zu erfahren.
Klaus Haag war 54 Jahre alt, Verkäufer, homosexuell und alleinstehend. Bis vor etwa einem Jahr hatte er eine feste Beziehung zu einem zehn Jahre jüngeren Mann namens Holger Klein. Allerdings wohnten die beiden nicht zusammen. Die Beziehung soll über 18 Jahre bestanden haben.
Hannelore Appel berichtete, dass sie Klaus Haag kenne, seit er vor 16 Jahren in das Haus eingezogen sei.
» Er war ein sehr angenehmer und immer hilfsbereiter Mitbewohner«, sagte sie tief betroffen. » Um seine 95-jährige Wohnungsnachbarin, die direkt neben ihm wohnte, hat er sich rührend gekümmert. Zwischen den beiden bestand ein ganz besonderes Verhältnis. Er hat sich manchmal bei der alten Frau ausgeweint.
Als sich sein Lebenspartner von ihm trennte, verfiel Herr Haag zusehends in Depressionen. Er sprach vermehrt dem Alkohol zu und magerte sichtbar ab. Ich habe ihn gestern, so gegen 17 Uhr, das letzte Mal gesehen. Meine 84-jährige Mutter, die genau über Herrn Haag wohnt, hat mir erst heute Abend berichtet, dass sie in der vergangenen Nacht gegen 1.00 Uhr wach geworden sei, weil sie Lärm hörte, der aus Haags Wohnung kam. Herr Haag hatte offensichtlich mit jemand Streit. Es seien auch Hilferufe zu hören gewesen. Meine Mutter traute sich aber nicht, irgendetwas zu unternehmen. Nicht zuletzt auch deshalb, weil bald wieder Ruhe eingekehrt und es in letzter Zeit bei Herrn Haag öfter mal laut gewesen sei. Hätte ich das früher erfahren, hätte ich doch schon vorher die Polizei angerufen«, machte sich Hannelore Appel Selbstvorwürfe.
» Die Homosexualität des Verstorbenen war im ganzen Haus bekannt«, fuhr sie fort. » Da Herr Haag so ein netter Mensch war, hatte keiner irgendwelche Vorbehalte gegen ihn. Nachdem sich Herr Klein von ihm trennte, kamen öfter Männer unterschiedlichen Alters zu Besuch. Sogar solche, die erst Zwanzig waren.«
» Ist Ihre Mutter noch auf? Meinen Sie, wir können sie zu so später Stunde noch sprechen?«, fragte ich die Zeugin.
» Das dürfte kein Problem sein«, erwiderte sie.
Ihre Mutter war tatsächlich noch nicht zu Bett gegangen. Sie erwartete uns bereits und gab auf unsere Fragen bereitwillig Antwort.
» Ich konnte zuerst gar nicht feststellen, woher der Lärm kam«, erzählte sie mit zitternder Stimme. » Plötzlich hörte ich jemand laut um Hilfe rufen. Dann wusste ich, dass es aus der Wohnung des Herrn Haag kam. Ich überlegte, was ich tun sollte, und begab mich auf den Flur, um vor Herrn Haags Wohnung zu horchen. Aber es war im ganzen Haus absolut still. Deshalb kehrte ich wieder in meine Wohnung zurück und lauschte, ob sich noch was tut. Schließlich hörte ich, wie bei Herrn Haag die Wohnungstür und kurze Zeit darauf auch die Haustür zugezogen wurde.
Ich weiß nicht, ob das wichtig ist, aber gestern Abend sah ich vor Herrn Haags Wohnung einen jungen Mann, der an seiner Tür läutete. Als niemand öffnete, ging er wieder weg.«
» Können Sie den Mann beschreiben?«, fragte ich.
» Nein, tut mir leid. Ich habe ihn nur von hinten gesehen, aber ich bin mir sicher, dass er noch nicht sehr alt war.«
Eine andere Mitbewohnerin beschrieb den Verstorbenen ebenfalls als angenehmen Menschen, wenngleich es auch einige Vorfälle gab, die ihr nicht so gefielen. So soll sich Klaus Haag im Sommer öfter splitternackt auf seinem Balkon gesonnt und manchmal auch überlaut das Radio aufgedreht haben.
Die Zeugin berichtete weiter, ihr sei aufgefallen, dass Klaus Haag in letzter Zeit
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