Das Gesicht des Todes: Authentische Mordfälle (German Edition)
vermehrt Besuch von Männern hatte, die ihr mehr als suspekt erschienen. Manche hätten sich wie Einbrecher ins Haus geschlichen. Man habe ihnen die Homosexualität regelrecht angesehen.
Da durch unser Erscheinen offenbar das ganze Haus wach geworden war, konnten wir in der Nacht auch noch die 95-jährige Hilda Probst befragen. Ihre Aussage half uns jedoch nicht viel weiter. Sie wusste lediglich zu berichten, dass Klaus Haag sehr unter dem Alleinsein litt und sich unbedingt wieder eine feste Beziehung wünschte.
Die 25-jährige Nicole Leier, die direkt neben dem Verstorbenen wohnte, hatte keine so gute Meinung von ihm.
» Ich hatte zu dem Mann keinen engeren Kontakt. Unser Verhältnis würde ich eher als gespannt bezeichnen«, begann sie das Gespräch. » Schon jahrelang wurde ich durch Herrn Haag in meiner Nachtruhe gestört. Fast jede Nacht musste ich das laute Gestöhne, das aus seiner Wohnung drang, über mich ergehen lassen. Ab und zu bekam ich auch mit, dass sich Herr Haag mit jemandem stritt. Schon mehrfach habe ich wegen Ruhestörung die Polizei gerufen. Das schaffte aber immer nur für eine gewisse Zeit Abhilfe.
Gestern Nacht ging es zwischen 1.00 und 2.00 Uhr wieder los. Es hörte sich an, als ob Möbel umgestoßen würden. Dann rief Herr Haag: › Ich habe kein Geld, ich habe kein Geld!‹ Auch hörte ich ihn stöhnen. Eine andere männliche Stimme habe ich auch gehört. Doch verstanden habe ich nichts.«
» Dann gehörte die Stimme also einem Ausländer?«, fragte ich.
» Nein, das würde ich nicht sagen. Es war eher ein Deutscher, aber ich habe kein Wort von ihm verstanden.«
» Stritten die beiden?«
» Ja, ich denke, sie stritten heftig.«
» Wie lange dauerte der Streit?«
» Etwa zehn bis 15 Minuten. Danach war es zunächst einmal still. Etwas später hörte ich, wie die Wohnungstür leise zugezogen wurde und wie eine Person die Treppe hinunterging.«
Wir befragten in der Nacht noch die übrigen Hausbewohner, die fast alle Ähnliches zu berichten wussten. Doch keiner hatte den Täter beim Betreten oder Verlassen des Hauses gesehen.
» Wahrscheinlich wieder ein typischer Schwulenmord!«, resümierte der Moko-Leiter, als er uns gegen 4.00 Uhr morgens zu einer kurzen Lagebesprechung zusammenrief. Ich stimmte ihm innerlich zu, denn die Morde an Homosexuellen, die mir während meiner bisherigen Tätigkeit bei der Mordkommission unterkamen, hatten ausnahmslos alle das gleiche Muster: Ein Homosexueller nimmt einen Stricher zu sich mit nach Hause, und der Stricher bringt seinen Freier meistens deshalb um, weil er an Geld kommen möchte. In allen Fällen hatten die Stricher ähnliche Ausreden parat. Mal gaben sie vor, der Freier sei plötzlich ausgerastet und hätte mit Schlagen angefangen, mal hätte er perverse Sexualpraktiken gefordert, vor denen man sich so geekelt habe, dass man sich körperlich wehren musste, oder der Freier habe sich selbst verletzt, stranguliert oder Ähnliches, so dass sein Tod eigentlich als eine Art Unfall zu werten sei.
Der Kommissionsleiter fuhr fort:
» Wie es scheint, hatte das Opfer in letzter Zeit regen und vor allem häufig wechselnden Kontakt zu Gleichgesinnten. Das kann für uns jede Menge Arbeit bedeuten. Im Raum Karlsruhe gibt es Tausende Homosexuelle, die alle als Täter infrage kommen können. Ich schlage vor, dass wir uns jetzt erst mal ein paar Stunden aufs Ohr hauen. Um 9.00 Uhr sehen wir uns wieder. Bis dahin liegen uns auch die ersten Ergebnisse der Spurensicherung vor.«
9.00 Uhr, brummte ich leicht verärgert. Es war jetzt kurz nach 4.00 Uhr. Hin und zurück hatte ich etwa eine Stunde Fahrzeit. Wenn ich Frühstück und Duschen abzog, standen mir also noch drei Stunden Schlaf zur Verfügung. Falls ich überhaupt schlafen konnte.
Ich war pünktlich, wie immer. Die anderen kamen ebenfalls rechtzeitig. Nachdem ich mir einen Kaffee eingeschenkt hatte, begann auch schon die Besprechung.
Ein Kollege der Kriminaltechnik zeigte mit Hilfe eines Beamers Aufnahmen von Tatort und Opfer. Hierbei konnten wir wichtige Einzelheiten sehen. Es wurde deutlich, dass der Täter die Wohnung offenbar gründlich durchwühlt hatte. Es waren sogar kleinere Behältnisse wie Tabak- und Kaffeedose, Schuhschachteln und dergleichen geöffnet. Eine offene Geldbörse lag auf dem Boden. Aus ihr war das Bargeld entnommen worden.
Auf dem Wohnzimmertisch standen unter anderem eine angebrochene Cognac- und zwei Bierflaschen. Ebenso mehrere Gläser. In einem Aschenbecher befanden
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