Das Gesicht
zwar rechtzeitig aus dem Arbeitszimmer geschlichen, doch irgendwo musste er Unterschlupf gesucht haben.
Als sie wieder ins Wohnzimmer traten und Victor nicht in die Eingangshalle zurückkehrte, sondern sich stattdessen ins angrenzende Esszimmer begab, folgte Pater Duchaine ihm nervös.
Auch im Esszimmer war niemand.
Victor stieß die Schwingtür zur Küche auf, und Pater Duchaine folgte ihm wie ein Hund, der fürchtet, sein Herr würde einen Grund dafür finden, ihn zu bestrafen.
Harker war fort. In der Küche stand die Tür zur Veranda hinter dem Haus offen. Die Zugluft, die aus dem düsteren Dämmerlicht hereinwehte, roch schon schwach nach dem bevorstehenden Regen.
»Du solltest deine Türen nicht offen stehen lassen«, warnte ihn Victor. »So viele Kinder Gottes haben kriminelle Anlagen. Sie würden sogar in das Haus eines Geistlichen einbrechen. «
»Gerade bevor Sie geläutet haben«, sagte Pater Duchaine und war selbst erstaunt, sich derart dreist lügen zu hören, »war ich rausgegangen, um kurz frische Luft zu schnappen.«
»Frische Luft ist für diejenigen, die ich selbst erschaffen habe, nicht von besonderem Wert. Ihr seid dazu entworfen worden, ohne körperliche Betätigung und ganz gleich, wovon ihr euch ernährt, zu blühen und zu gedeihen, ob in frischer oder in verpesteter Luft.« Er pochte mit seinen Knöcheln auf Pater Duchaines Brust. »Du bist ein außerordentlich effizienter organischer Mechanismus.«
»Ich bin dankbar, Sir, für alles, was ich bin.«
Aus der Küche in den Flur, aus dem Flur in die Eingangshalle.
»Patrick«, sagte Victor auf dem Weg, »ist dir eigentlich klar, warum es so wichtig ist, dass meine Leute nicht nur jeden anderen Bereich der menschlichen Gesellschaft, sondern auch die organisierte Religion infiltrieren?«
Die Antwort wurde dem Geistlichen nicht von tiefschürfenden Gedankengängen, sondern von seiner Programmierung eingegeben: »In vielen Jahren, wenn die Zeit reif ist, die letzten noch verbliebenen Angehörigen der Alten Rasse zu eliminieren, darf es keinen Ort mehr geben, an den sie sich wenden können, wenn sie Unterstützung oder Zuflucht suchen.«
»An die Regierung können sie sich nicht wenden«, stimmte ihm Victor zu, »weil wir die Regierung sein werden. Und ebenso wenig können sie sich an die Polizei oder an das Militär wenden … oder an die Kirche.«
Auch diesmal antwortete Pater Duchaine rein mechanisch: »Wir müssen einen destruktiven Bürgerkrieg vermeiden.«
»Genau. Anstelle eines Kriegs unter der Zivilbevölkerung … eine äußerst zivile Ausrottung.« Er öffnete die Haustür. »Patrick, wenn du dich jemals in irgendeiner Weise … unvollständig … fühlen würdest, dann kämest du doch vermutlich zu mir.«
Der Geistliche entgegnete argwöhnisch: »Unvollständig? Was soll das heißen?«
»Verunsichert. Verwirrt. Dir über den Sinn deines Daseins nicht ganz im Klaren. Ohne ein klares Ziel vor Augen.«
»Oh nein, Sir, meine Bestimmung ist mir bekannt, und nur ihr habe ich mich verschrieben.«
Victor sah Pater Duchaine lange in die Augen, ehe er sagte: »Gut. Das ist gut. Diejenigen unter euch, die dem Klerus angehören, sind nämlich ganz besonders gefährdet. Religion kann verführerisch sein.«
»Verführerisch? Ich wüsste nicht, wie. Das ist doch alles Unsinn. Und völlig irrational.«
»All das und noch Schlimmeres«, stimmte Victor ihm zu. »Und wenn es ein Leben nach dem Tod und einen Gott gäbe, dann wäret ihr ihm für das, was ihr seid, verhasst. Er würde euch vernichten und euch in die Hölle werfen.« Er trat auf die Veranda hinaus. »Gute Nacht, Patrick.«
»Gute Nacht, Sir.«
Nachdem Pater Duchaine die Tür geschlossen hatte, blieb er in der Eingangshalle stehen, bis seine Knie so weich wurden, dass er sich setzen musste.
Er ging zur Treppe und setzte sich auf einen Absatz. Er umklammerte eine Hand mit der anderen, um das heftige Zittern zu unterdrücken.
Allmählich veränderten seine Hände ihre Haltung, bis er sah, dass er sie zum Gebet gefaltet hatte.
Ihm wurde klar, dass er die Haustür nicht abgeschlossen hatte. Bevor sein Schöpfer sie von außen wieder öffnen und ihn bei diesem Verrat ertappen konnte, ballte er beide Hände zu Fäusten und schlug damit auf seine Schenkel.
90
Deucalion stand vor dem Klapptisch, der Harker in seiner ausgeflippten Dachstube als Schreibtisch gedient hatte, und sah die Bücherstapel durch.
»Anatomie. Zellforschung. Molekularbiologie. Morphologie. In diesem einen
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