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Das Gesicht

Das Gesicht

Titel: Das Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean Koontz
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Münze jedoch auf dem höchsten Punkt des Bogens erneut aus den Augen.
    Sie hielt den Atem an und wartete darauf, dass die fallende Münze auf den Boden traf, doch das Geräusch kam nicht, kam immer noch nicht … und dann musste sie Atem holen.
    »Soll ich nach wie vor aus Ihrem Leben verschwinden?«, fragte er. »Oder wollen Sie mehr hören?«

52
    Wandleuchter breiten bernsteinfarbene Fächer auf den Wänden aus, doch um diese Tageszeit ist das Licht gedämpft, und die Schatten herrschen vor.
    Randal sechs ist eben erst klar geworden, dass die PVC-Fliesen
im Flur wie die Kästchen in einem Kreuzworträtsel sind. Diese Geometrie tröstet ihn.
    Vor seinem geistigen Auge lässt er bei jedem Schritt, den er macht, einen Buchstaben seines Namens hervortreten und buchstabiert sich über die Bodenplatten, eine Fliese nach der anderen, in Richtung Freiheit.
    Das hier ist die Etage mit den Schlafsälen, wo die meisten der erst kürzlich erweckten Angehörigen der Neuen Rasse untergebracht sind, bis sie genügend Schliff haben, um die Stadt zu infiltrieren.
    Die Hälfte aller Türen steht offen. Hinter einigen von ihnen sind nackte Körper in jeder erdenklichen sexuellen Stellung miteinander verkeilt.
    Insbesondere während ihrer ersten Wochen sind die Tankgeborenen von Seelenqualen erfüllt, die daher rühren, dass sie wissen, was sie sind. Sie leiden aber auch unter intensiven Angstzuständen, da sie im Moment ihrer Bewusstwerdung sofort begreifen, dass sie als Victors Leibeigene auf die grundlegenden Dinge ihres Lebens keinen Einfluss haben und dass sie auch keinen freien Willen besitzen; daher beinhaltet ihr Beginn bereits ihr Ende, und ihr Leben ist, ohne jede Hoffnung auf etwas Geheimnisvolles, bis in alle Einzelheiten vorausgeplant.
    Sie sind unfruchtbar, aber äußerst vital. Bei ihnen ist der Sex vollständig vom Zweck der Fortpflanzung losgelöst und dient ausschließlich als Ventil, um Stress abzulassen.
    Sie kopulieren in Gruppen, die ineinander verschlungen sind und sich krümmen, und Randal sechs, dessen Autismus ihn von ihnen unterscheidet, scheint es, als verschafften ihnen diese Stöße kein Vergnügen, sondern nur Spannungsentladung.
    In den Geräuschen, die diese orgiastischen Gruppen hervorbringen, schwingt keine Freude mit, keine Andeutung von Zärtlichkeit. Es sind animalische Laute, tief und rau und
fast bis zur Gewalttätigkeit beharrlich, aber auch so begierig, dass es beinah an Verzweiflung grenzt.
    Das Klatschen von Fleisch auf Fleisch, die wortlosen Grunzlaute, die kehligen Schreie, die mit rasender Wut geladen scheinen – all das erschreckt Randal sechs, als er an diesen Räumen vorbeikommt. Er verspürt den Drang zu rennen, aber er wagt es nicht, auf die Fugen zwischen den Fliesen zu treten; er muss jeden Fuß präzise in ein Kästchen einfügen, und das erfordert behutsame Schritte.
    Der Flur erscheint ihm zunehmend wie ein Tunnel, die Räume zu beiden Seiten wie Katakomben, in denen die Toten, die keine Ruhe finden, einander in kaltem Begehren umarmen.
    Sein Herz klopft, als wollte es die Stabilität seiner Rippen testen, als Randal seinen Namen oft genug buchstabiert, um an einen Punkt zu gelangen, an dem Korridore aufeinander treffen. Unter Verwendung des letzten Buchstabens buchstabiert er ein Wort, das sich mit seinem Namen kreuzt – links –, und das gestattet es ihm, diese Richtung einzuschlagen.
    Von dem s am Wortende bewegt er sich fünf Fliesen zur Seite, indem er rechts rückwärts buchstabiert. Mit dem Buchstaben r als Beginn seines neuen Wortes kann er wieder seinen Namen buchstabieren und gelangt auf diese Weise in dem neuen Gang voran und zu der Wahl zwischen Aufzügen oder einem Treppenhaus.

53
    Erika nahm das Abendessen allein im ehelichen Schlafzimmer zu sich, an einem französischen Tisch aus dem neunzehnten Jahrhundert, dessen Intarsien reiche herbstliche
Gaben darstellten – Äpfel, Orangen, Pflaumen, Trauben, die sich alle aus einem Füllhorn ergossen. Zahllose verschiedene Hölzer hatten Eingang in diese wunderbare Einlegearbeit gefunden.
    Wie bei allen Angehörigen der Neuen Rasse war auch ihr Stoffwechsel hochgezüchtet und so kraftvoll wie ein Ferrari-Motor. Das erforderte gewaltigen Appetit.
    Zwei Steaks von je hundertachtzig Gramm – Filet mignon, englisch zubereitet – wurden mit einer Scheibe knusprigem Speck, Butterkarotten mit Thymian und Zuckererbsen mit Jicamascheibchen serviert. Auf einer Warmhalteplatte wurden geschmorte Kartoffeln in einer Sauce aus

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