Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Gesicht

Das Gesicht

Titel: Das Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean Koontz
Vom Netzwerk:
konnte.
    Sollte er ihr anschließend erlauben, am Leben zu bleiben, dann würde sie ihr Leben lang noch mehr zu leiden haben. Er würde all ihre Tage mit phantasievollen Strafen ausfüllen.
    Daher war es folgerichtig, dass sie jetzt auf die Fernbedienung auf dem Nachttisch zuging und sie dazu benutzte, den Fernseher abzuschalten. Der Plasmabildschirm wurde dunkel.
    Während sie mit der Fernbedienung in der Hand wartete, rechnete sie damit, dass der Fernseher sich von selbst wieder einschalten würde, doch er blieb ausgeschaltet.
    Sie glaubte nicht an Geister. Sie durfte nicht daran glauben. Ein solcher Glaube war gleichbedeutend mit Ungehorsam. Ungehorsam würde dazu führen, abgeschaltet zu werden.
    Es war das Beste, wenn die mysteriöse Stimme, die sie zum Mord drängte, weiterhin mysteriös blieb. Sie krampfhaft verstehen zu wollen, würde bedeuten, sie von einer Klippe zu jagen, in den sicheren Tod.
    Als sie merkte, dass sie vor Furcht zitterte, kehrte Erika zu ihrem Stuhl am Tisch zurück.
    Sie aß weiter, doch jetzt war ihr Appetit in eine Art nervöser Gier umgeschlagen. Sie schlang das Essen in sich hinein und versuchte, Gelüste zu stillen, die durch Nahrung niemals gestillt werden konnten: den Hunger nach Sinn und nach Freiheit.
    Das Zittern, das sie überlief – und die Todesfurcht, für die es stand –, überraschte sie. Seit ihrer »Geburt« vor sechs Wochen hatte es Momente gegeben, in denen sie den Tod für erstrebenswert gehalten hatte.
    Aber nicht jetzt. Etwas hatte sich verändert. Als sie gerade nicht hingeschaut hatte, hatte dieses Ding mit Federn, die Hoffnung, in ihrem Herzen Einzug gehalten.

54
    Roy Pribeaux besaß Waffen.
    Er holte sie aus dem Schrank, wo sie in maßgefertigten Etuis aufbewahrt wurden. Liebevoll nahm er sich eine nach der anderen vor, reinigte und ölte sie, soweit es erforderlich war, und machte sie gebrauchsfertig.
    In seiner Jugend und auch noch in seinen Zwanzigern hatte er sich maßlos für Waffen begeistert. Revolver, Pistolen, Schrotflinten, Gewehre – von jeder Waffengattung besaß er eine kleine Auswahl, einen gewissen Grundstock.
    Kurz nach seinem zwanzigsten Geburtstag, als er sein Erbe angetreten hatte, hatte er sich einen Ford Explorer gekauft, ihn mit seinen liebsten Hand- und Faustfeuerwaffen voll gepackt und eine Reise durch den Süden und den Südwesten unternommen.
    Bis dahin hatte er nur Tiere getötet.
    Er war kein Jäger. Er hatte nie einen Waffenschein beantragt. Es reizte ihn nicht, durch Wald und Feld zu stapfen. Seine Beute waren Haustiere und Nutztiere.
    Als er mit zwanzig Jahren seine Reise antrat, visierte er erstmals Menschen an. Einige Jahre lang war er unbeschwert und glücklich.
    Wie viele Menschen in ihren Zwanzigern war auch Roy ein Idealist gewesen. Er hatte daran geglaubt, zu einer besseren Gesellschaft beitragen zu können, und er hatte sich auch als Weltverbesserer angesehen.
    Selbst damals war ihm schon klar gewesen, dass nur Schönheit das Leben erträglich machte. Schönheit in der Natur. Schönheit in der Architektur und in den Künsten und in von Menschenhand hergestellten Gegenständen. Schönheit unter den Menschen.
    Er selbst war von frühester Kindheit an auffallend attraktiv gewesen und hatte bewusst wahrgenommen, wie sein Anblick
die Seelen der Menschen erbaute und seine Gesellschaft eine Wohltat für ihre Stimmung war.
    Er hatte die Absicht, die Welt zu verbessern, indem er hässliche Menschen, wo auch immer er sie fand, eliminierte und den Rest der Menschheit auf diese Weise glücklicher machte. Und er fand sie überall.
    Roy bereiste achtzehn Staaten zwischen Alabama im Osten und Colorado im Norden, Arizona im Westen und Texas im Süden. Er reiste, um zu töten. Wo auch immer die Umstände gewährleisteten, dass er zuschlagen konnte, ohne eine Verhaftung zu riskieren, brachte er hässliche Menschen um.
    Er setzte eine so große Vielfalt von prächtigen Waffen über eine so enorme geographische Ausdehnung ein, dass seine zahlreichen Opfer nie als das Werk eines einzigen Täters miteinander in Verbindung gebracht wurden. Er tötete auf größere Entfernungen mit Gewehren, auf vierzig Meter oder weniger mit Flinten vom Kaliber zwölf, die mit grobem Schrot geladen waren, und aus der Nähe mit Revolvern oder Pistolen, je nachdem, wozu er gerade aufgelegt war.
    Im Allgemeinen zog er die Intimität der Faustfeuerwaffen vor. Sie gestatteten es ihm so gut wie immer, nahe genug an sein Opfer heranzukommen, um ihm zu erklären,

Weitere Kostenlose Bücher