Das Gespinst des Bösen
an so etwas. Aber ich war auch über zwanzig Jahre lang Anwältin.»
Siân hatte ihren Mantel aufgeknöpft. Darunter trug sie Zivilkleidung – einen dunkelblauen Rock und einen hellblauen Pullover –, in der sie sich fast unbehaglich zu fühlen schien, und Merrily wurde bewusst, wie ähnlich die Kleidung der Geistlichen der war, die Anwälte vor Gericht trugen, abgesehen von der Perücke natürlich.
«Will mich jemand loswerden?»
Sie sah Siân mit festem Blick an; die zuckte mit den Schultern.
«Egal, wo man ist,
irgendjemand
will einen immer loswerden. Aber, da Sie fragen: Es ist ziemlich wahrscheinlich, dass sich die Bedingungen ändern, wenn Ihr Vertrag erneuert werden muss.»
«Zusätzliche Gemeinden?»
«Das ist am
aller
wahrscheinlichsten. Und wenn Sie nicht kooperieren …»
«Wird der Vertrag nicht erneuert.»
«Kommt nicht oft vor, kommt aber vor. Wie viel hatten Sie mit Mervyn Neale zu tun?»
«Dem Erzdiakon? Kaum etwas. Ich habe vor allem mit dem Bischof zu tun. Wie Sie wissen.»
«Was
zum Teil
der Grund dafür sein dürfte.»
«Bitte?»
«Mervyn mag Sie nicht, Merrily.»
«Er kennt mich kaum.»
«Vielleicht …» Siân nippte an ihrem Kaffee. «… mag er einfach das nicht, wofür Sie stehen.»
Um das Weibliche an und für sich konnte es wohl nicht gehen. Ohne weibliche Geistliche hätte seine Diözese ernsthafte Personalprobleme. Merrily biss noch eine Ecke von ihrem Sandwich ab.
«Neale ist Traditionalist», sagte Siân. «Er sagt öffentlich nichts gegen Frauen im Pfarramt, aber er erwartet, dass wir uns unauffällig verhalten.»
«Was, etwa so wie Sie?»
«Na ja, er
war
ziemlich ärgerlich, als vorgeschlagen wurde, dass ich ihn einen Monat lang im Amt begleite, um dann möglicherweise seine Nachfolgerin zu werden, wenn er in den Ruhestand geht.»
«Das kann passieren, oder?»
«Ich hoffe es. Ich glaube, es ist etwas, das ich könnte.»
«Mmm, das glaube ich auch.»
«Weil ich eine rücksichtslose, ehrgeizige Zicke bin, nehme ich an.»
Merrily lehnte ihren Kopf an die Eichentäfelung hinter sich, schüttelte den Kopf und lächelte leicht.
Und du dachtest, Gomer Parry wäre direkt.
«Sie mögen mich nicht, Sie trauen mir nicht», sagte Siân.
«Siân, es ist nicht so, dass ich Sie nicht
mag
–» Merrily rollte ihren Kopf an der Täfelung von links nach rechts. «Oh Gott.»
«Sie wissen, welches Problem Shirley West hat, oder?»
«Klar, sie denkt, ich bin eine kettenrauchende Punk-Pfarrerin, die sich am Okkulten versucht.»
«Ja, das auch. Aber das eigentliche Problem ist, dass ihr Ex-mann entfernt verwandt mit dem Mann ist, der gelegentlich als Englands schrecklichster Serienmörder aller Zeiten bezeichnet wird.»
Merrily setzte sich abrupt auf, sodass etwas Kaffee aus ihrer Tasse schwappte.
«
Fred
West?»
«Der Sexualverbrecher. Und, natürlich, ein Mann aus Herefordshire.»
«Das hat Shirley Ihnen erzählt? Aber –? Sie waren doch nur ein paar Tage hier.»
«Beruhigen Sie sich, Merrily. Ich versuche nicht, Ihre Gemeinde zu übernehmen. Ich habe Shirley West gestern Abend in der Kirche getroffen – Jane wird es Ihnen erzählen. Sie waren kaum weg, als ich einen Anruf von Shirley erhielt, die mich sehen wollte. Jane hat uns bei dem Treffen belauscht – um Ihre Interessen zu schützen. Jane ist … ich meine, wie viele Töchter in diesem Alter würden sich die Zeit für so was nehmen? Sie ist ein gutes Mädchen, Merrily.»
«Ich weiß.»
«Shirley … wollte mir dringend von all dem Bösen erzählen, dem Sie Ihre Sonntagabend-Meditationsgruppe ausgesetzt haben. Unter anderem.»
«Sie hat am Sonntagabend eine kleine Szene gemacht. Ich bin nicht besonders gut damit umgegangen. Fühlte mich nicht so gut.»
«Nein, Sie sahen auch nicht gut aus, als Sie nach Garway gefahren sind.»
«Trotzdem hätte ich mir Zeit nehmen müssen, um mit ihr zu sprechen.»
«Wenn Sie sich für jeden Zeit nehmen würden, könnten Sie nicht mehr schlafen. Mir ging es jedenfalls darum, wie ich Jane schon erklärt habe, dass Shirley kein Unheil anrichtet, wo Sie es wirklich nicht gebrauchen können. Als Sie mich heute Morgen … von meinen Aufgaben befreit haben, beschloss ich also, bei Shirley vorbeizuschauen, in dieser Siedlung an der New Barn Lane. Ich hatte nicht daran gedacht, dass sie bei der Arbeit sein könnte, aber ihre Schwägerin sah mich und kam nach draußen, und als ich mich vorstellte, lud sie mich auf eine Tasse Tee ein, und … ich war fast drei Stunden
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