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Das Gespinst des Bösen

Das Gespinst des Bösen

Titel: Das Gespinst des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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offensichtlich, dass es als eine Art rituelle Huldigung gedacht war, um das Dorf und die benachbarten Höfe an die Newtons zu binden. Ich weiß nur, dass es mich jahrelang in meinen Träumen verfolgt hat.»
    «Sie mussten sich alle die Leiche ansehen?»
    «Schätzchen, wenn es nur das gewesen wäre.»
    Mrs. Morningwood deutete hinunter zum Meisterhaus. Von der ausgeblichenen Eichentür, die einen gotischen Spitzbogen hatte, war das Skelett einer Veranda weggezogen worden. Mrs. Morningwood beschrieb eine rechteckige Halle im Haus, die gleichzeitig als Wohnzimmer gedient hatte. Mit einer großen Kaminecke, vor der die sterblichen Überreste von Felicity Newton aufgebahrt worden waren.
    «Es muss gegen elf gewesen sein, an einem Winterabend – ich war ziemlich aufgeregt, weil ich so lange wach bleiben durfte. Wir gingen über die Felder, meine Mutter und ich – genau hier entlang. Vor uns gingen Menschen rein, alle schwarz gekleidet, ihre Sturmlampen ließen sie draußen. Menschen, die sich alle untereinander kannten, aber niemand sagte ein Wort. Ich weiß noch, dass im Kamin ein Feuer brannte, ein sehr kleines, es war die einzige Lichtquelle, abgesehen von der einen Kerze. Wie in einer Grotte, einem Schrein. Wir sollten allein oder zu zweit hereinkommen, und dann schloss sich hinter uns die Tür, so dass wir mit der Leiche eingesperrt waren.»
    Merrily sah, wie Jane unauffällig mit den Augen rollte.
    «War das erste Mal, dass ich eine Tote gesehen habe», sagte Mrs. Morningwood. «Die Kerze steckte in einem Salzhügel auf einer Untertasse, die sie auf die Brust der Toten gestellt hatten. Sie lag mitten im Raum in ihrem Sarg, der auf Böcken stand. Die Kerze hat ihr Gesicht in einem ziemlich gespenstischen Licht erscheinen lassen. Ich weiß noch – einer dieser eingefrorenen Momente, die noch jahrelang in meinen Albträumen auftauchten –, dass ich sie ansah und von einem Entsetzen ergriffen wurde, das richtig körperlich war, wie Magenkrämpfe. Ich hab versucht wegzulaufen, aber dann hat sich aus dem Dunkel der Kaminecke ein Schatten erhoben. Tessie Worthy, die Haushälterin der Newtons. Eine große, beeindruckende Frau. Ich sehe es noch vor mir, als wäre es gestern gewesen: Tessie Worthy mit ihrer weißen, gestärkten Schürze, wie sie sich erhebt und mit dieser tiefen, grollenden Stimme sagt, als würde sie rezitieren,
Jeder hat sie zu berühren

    «Krass», sagte Jane und streichelte den Wolfshund.
    «Ich weiß noch, dass meine Mutter mich hochhob und meine Hand auf die welke Wange legte. Ich habe den Kopf abgewandt, als mir der Geruch in die Nase stieg – ich bin sicher, wenn ich da jetzt reinginge, würde ich es wieder riechen. Faulig. Der schwache, aber stechende Geruch des Verfalls, vermischt mit dem Übelkeit erregenden Geruch von flüssigem Wachs. Ich hab ganz fest die Augen geschlossen. Das Gesicht fühlte sich an wie die Haut auf kaltem Pudding.»
    «Ist das eine keltische Tradition?», sagte Jane unbeeindruckt. «Ich meine, Leichenkerzen?»
    «Es geht darum, die bösen Geister fernzuhalten, meine Liebe. In dem Raum, in dem die Leiche liegt, muss ein Licht brennen, bis zum Begräbnis.»
    «Bis zur Beerdigung», sagte Merrily, «befindet sich der Geist noch im Haus und sollte nicht allein gelassen werden. Das hat man wohl geglaubt.»
    «Wie auch immer», sagte Mrs. Morningwood. «Ich glaube, dass die Newtons es gemacht haben, um Kontrolle auszuüben. Jede Hand auf der toten Wange war wie eine unausgesprochene Geste des Gehorsams. Und es kam natürlich fast jeder – außer denen, die Gwilym hießen, versteht sich.»
    «Wie oft kam das vor?», fragte Merrily. «Diese gemeinschaftlichen Besuche bei toten Newtons?»
    «Zwei Mal? Drei Mal? Ich weiß es wirklich nicht. Ich bin von zu Hause weggegangen, als ich Mitte zwanzig war. Konnte es nicht erwarten rauszukommen, in die große, aufregende Stadt, wo es keinen Aberglauben gab. Als ich wiederkam, waren sie ausgezogen.»
    «Sie hatten das Haus aufgegeben?»
    «Sie haben ein neues gebaut, ursprünglich für einen Pächter, aber dann haben sie es ausgebaut und zum Familiensitz gemacht. War praktischer, leichter zu heizen – das war zumindest
ihre
Version. Das Meisterhaus wurde dann vermietet, zuerst an Leute, die versucht haben, einen Reitstall zu betreiben – und damit gescheitert sind –, und dann an eine dieser Siebziger-Jahre-Kommunen, reiche junge Leute mit Idealen, aber ohne jede Moral. Die waren auch schon wieder weg, als ich

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