Das Gespinst des Bösen
nach dem Pfarrhaus um und sah verschwommen etwas Weißes über das Kopfsteinpflaster in Richtung Church Street gehen.
Lol machte Tee, und Jane umfasste mit beiden Händen ihren Becher und trug ihn ins Wohnzimmer mit der orangefarbenen Decke. Lol knipste die Schreibtischlampe mit dem Pergamentschirm an und ließ die Vorhänge offen. Seine erste Erleichterung verging.
«Du meinst, sie ist krank?»
«Ich weiß nicht.» Janes Augen wirkten glasig und besorgt. «Vielleicht.»
«Jane –»
«Wir hatten es eilig, Lol. Wir sind spät zurückgekommen. Ich hab gesagt, ich mach den Computer an und versuch ein bisschen was rauszufinden.»
«Worüber? Ist sie in der Kirche?»
«Ja. Sie ist direkt rübergerannt. Ich sollte das Auto reinfahren und Ethel füttern und so.»
«Was stimmt denn dann nicht mit ihr?»
«Lol, ich … ich weiß es einfach nicht, o.k.? Vielleicht hat sich das schon seit einer Weile angekündigt, ich meine, es war ein hartes Jahr, so viel Tod, so viel, was sie nicht verhindern konnte. All ihre Anstrengungen, die zu nichts geführt haben. Ich
weiß
es nicht.»
«O.k.» Lol setzte sich in den Sessel, der dem Sofa gegenüberstand. «Erzähl. Eins nach dem anderen.»
Und sie versuchte es, aber das meiste davon konnte er gar nicht richtig begreifen. Die Zahl der Bestie und die Pubs mit den kosmischen Namen, die gruselige Frau mit dem Hund. Und das Bauernhaus.
«Als wir rauskamen, ich schwör’s, Lol, da war sie weiß wie … wie ein Chorhemd. Sie hat versucht, normal zu sein – so
Kein-Grund-zur-Sorge
-mäßig. Was es nur noch schlimmer gemacht hat, weil es so offensichtlich war. Ich meine, als würde
ich
mir Sorgen machen. Ich, die Heidin?»
«Sorgen weswegen?»
«Und dann waren wir auf diesem Feld, und sie hat mit mir das komplette Segnungs-Zeug gemacht. Den spirituellen Harnisch, bei Sonnenuntergang am Rand eines Feldes? Ich meine … was sollte das?»
«Hat sie das vorher schon mal gemacht?»
«Nein. Aber normalerweise bin ich bei diesen Jobs ja auch nicht dabei. Sie hat gesagt, es wäre Routine. Ganz normal. Ja, ist klar.»
«Und dann ist sie zu der Meditation gegangen?»
«Hmm.» Jane nickte. «Na ja … vielleicht hilft ihr das ja.»
Lol brachte sie dazu, ihm alles noch einmal zu erzählen – von den Pubs und dem Taubenschlag und M. R. James.
«Nachdem ihr aus dem Haus gekommen seid, was genau hat sie da gesagt?»
«Sie hat auf die Uhr gesehen, und so was gesagt wie ‹Oh Gott, wir werden es nicht mehr rechtzeitig schaffen›. Aber man hat gesehen, dass es nicht das war, was sie beunruhigt hat, und wenn wir spät dran waren, warum sollte sie dann noch Zeit mit diesem Segnungsscheiß verschwenden? Ich mein, bin ich ein Idiot, oder was? Und auf dem Rückweg hat sie die ganze Zeit über andere Dinge geredet – triviale Dinge, so ganz munter und praktisch. Als hätte sie was zu verbergen. Als hätte sie da drin was gesehen oder als wäre ihr was klargeworden, dem sie sich nicht stellen wollte.»
«Und als ihr zurück wart, war sie da immer noch …?»
«Durcheinander, ja. Das war offensichtlich.» Jane trank einen Schluck Tee. «Sie stand total neben sich, wie jemand, der einen Autounfall hatte. Aber als wir uns in dem Haus umgesehen haben, war sie eher … abschätzig, ein bisschen verärgert, als hätte sie jemand reingelegt. Sie hasst das, wenn die Leute sie behandeln wie die begriffsstutzige … Pfarrerin.»
Jane trank ihren Tee aus. Sie wirkte immer noch unglücklich und vielleicht sogar etwas gekränkt, weil die begriffsstutzige Pfarrerin möglicherweise irgendetwas
Andersartiges
wahrgenommen hatte, das ihr selbst entgangen war.
«Lol …» Sie wartete, bis er sie ansah. «Ich glaub, ich hab mich im letzten Jahr ziemlich verändert. Ich glaub, ich könnte ihr helfen. Aber sie ist da immer noch skeptisch, weißt du?»
«Ich rede mit ihr», sagte Lol.
Lol schlich ungesehen am Taufbecken vorbei. Was bei einer Sonntagabend-Andacht nicht schwierig war, weil die ersten Bankreihen zu einem Kreis zusammengestellt und die einzige Lichtquelle ein paar Kerzen waren, die riesige Schatten an die Sandsteinmauern warfen. Es waren ungefähr zwei Dutzend Menschen da – was ziemlich normal war.
«… Gedanke, dass es beim Gebet ebenso ums Zuhören geht … bedeutet, wir müssen darüber nachdenken, was wir mit Zuhören
meinen
.»
Kein priesterliches Drumherum, nichts Zeremonielles. Kein Rauch, keine Spiegel, kein Applaus, kein Getrampel für Zugaben.
Merrily’s
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