Das Gespinst des Bösen
Gott gibt, warum lässt er dann so viel Leiden zu? Nun, liebe Kinder, die Wahrheit – die Quintessenz, die hinter allem stehende Wahrheit – ist, wenn
ich
das mal wüsste.»
«Meinst du denn –» Lol bremste scharf, weil ein Dachs über die Straße lief.
«Ich habe mindestens zwei Sachen falsch gemacht.
Erstens:
Ich habe Felix nicht einbezogen.»
«In den Segen? Wollte er das?»
«
Zweitens:
Ich hatte die Möglichkeit, gestern zu dem Haus zu fahren, und ich habe es nicht getan. Ich hatte beschlossen, dass das wahrscheinlich alles Quatsch ist.»
«Aber du hattest schließlich Grund zu dieser Annahme. Du hast mit Huw Owen gesprochen und er –»
«Ich war nachlässig. Zynisch.»
Lol versuchte es noch einmal. «Selbst wenn du gestern zu dem Haus gefahren wärst – es gibt keine Garantie dafür, dass du irgendeine Reaktion gespürt hättest. So funktioniert das nicht, oder?»
«Ich weiß nicht, wie es funktioniert. Niemand weiß, wie es funktioniert.»
«Vielleicht hat ihn die Frau nicht umgebracht», sagte Lol. «Sie
wissen
nicht, ob sie es war, oder?»
«Irgendwas wissen sie. Ich bin ziemlich sicher, dass da irgendwas ist. Bliss hat es nicht verraten. So gehen sie vor. Sag keinem irgendwas, es sei denn, es dient irgendeinem Zweck.»
«Wenn sie diese Fuchsia finden, musst du mit ihr reden. Das würde Bliss doch sicher arrangieren.»
«Gestern Abend wollte sie nicht mit mir reden. Und warum war sie noch mal in Garway? Warum ist sie nach dem Segen noch mal dorthin gefahren? Das wollte mir Felix ganz offensichtlich nicht sagen.»
«Merrily …»
«Ich hätte genauer nachdenken sollen.»
«Bitte», sagte Lol. «Du darfst nicht …»
Er verlangsamte, als sie auf das Schild zufuhren, auf dem LEDWARDINE 3 stand, und versuchte, nicht an die Jammerstimme dieser Fundamentalistin, Shirley West, zu denken.
Woher wollen wir wissen, dass nicht jemand hier ist, der etwas Böses an sich hat, das er mit in die Kirche gebracht hat?
Die Straße lief in einer Kurve auf den Ort zu, unter dem wolkenverhangenen Mond zeichnete sich der Cole Hill ab, und der Kirchturm erhob sich aus dem Nichts wie eine historische Rakete, die auf ihrer Abschussrampe versteinert war.
Glaubenskrisen, würde Merrily sagen, wenn sie nicht gerade selbst eine hatte, gehörten dazu; letzten Endes stärkten sie den Glauben nur.
Bis man mal eine zu viel davon hatte, dachte Lol.
Er parkte auf dem Platz. Die Restaurantgäste waren fort, und im
Black Swan
brannte nur noch die Nachtbeleuchtung. Es war kein Mensch zu sehen. Lol drehte sich zu Merrily um, ohne sie zu berühren.
«Möchtest du, hmm … möchtest du, dass ich mit zu dir komme?»
21 Niedere Geschöpfe und Vögel
Im frühen Tageslicht hatte Merrily Lol aus der Hintertür des Pfarrhauses gelassen, damit er ungesehen durch das Gartentor und über den Friedhof verschwinden konnte. Sie stand im Bademantel auf dem Treppenabsatz und sah ihm durch das Fenster nach.
Es gab eigentlich keine Notwendigkeit mehr für dieses Spielchen; inzwischen wusste wohl jeder Bescheid. Aber Merrily hatte das Gefühl, es würde erwartet, eine Frage des Anstands, hier auf dem Dorf.
Sex hatten sie sowieso nicht gehabt, Merrily hatte einfach nur Nähe und Wärme gebraucht. Um durch die Nacht zu kommen und das immer wiederkehrende Bild von Fuchsia zu ertragen, die sie mit großen Augen fragte:
«Werden Sie mich segnen?»
«Du siehst aus wie die Lady von Shallot oder so», sagte Jane.
Sie stand oben an der Treppe, bereits für die Schule angezogen, mit glänzendem Gesicht und gebürsteten Haaren.
«Endete die nicht in einer Barkasse?», fragte Merrily. «Ich meine … tot?»
«Davor war sie aber auch schon total fertig.»
Total fertig? Genau.
«Ähm …» Jane hatte letzte Nacht auf sie gewartet und wusste das Schlimmste schon. «Ich hab gerade die Nachrichten im Radio gehört. Sie haben gesagt, dass die Leiche eines Mannes neben seinem Wohnmobil gefunden wurde und dass die Cops die Umstände für verdächtig halten.»
«So ist es.»
«Eine Frau haben sie nicht erwähnt.»
«Gut.»
«Mom …» Jane kam herunter auf den Treppenabsatz. «Ich bin doch nicht dumm. Ich kann eins und eins zusammenzählen.»
«Es kommt nur nicht immer das Richtige dabei heraus.»
«Alles o.k. mit dir? Ich meine es ernst.»
«Ich hab überlegt, ob ich lieber Friseurin werden und in Lols Wohnzimmer einen Frisiersalon aufmachen soll.»
«Mom –»
«Das wäre wenigstens mal eine nützliche Tätigkeit.»
«Du
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