Das Gespinst des Bösen
Motto,
Deine Mutter ist eine abergläubische Idiotin.
Es war gestern Abend wirklich nicht leicht gewesen, die ganze Zeit darauf zu achten, was man sagte, immer auf Fangfragen gefasst zu sein. Jetzt, in der regnerischen Dämmerung, stand Jane zwischen den Eichensäulen der Markthalle, sah zum Pfarrhaus hinüber und versuchte sich aufzubauen, ehe sie nach Hause ging. Nur dass es im Moment irgendwie überhaupt nicht ihr Zuhause war.
Am schlimmsten war es, als Mom anrief und Jane, die den Anruf in ihrem Apartment annahm, ihr erzählte,
Oh, nein, sie ist wirklich ganz nett. Wir haben lange darüber geredet, dass sie schon Anwältin werden wollte, als sie acht war.
Mom hatte versucht, sich ihre Betroffenheit nicht anmerken zu lassen, und Jane machte weiter,
Hey, Mom, ich kann nichts dafür, dass sie keine Zicke ist.
Sie wusste, dass Mom die ganze Zeit nervös wäre, wenn sie ihr die Wahrheit sagte, dass sie sich eine Katastrophe nach der anderen ausmalen würde. Mom dachte, ihre Tochter wäre noch fünfzehn oder so und hätte von Subtilität noch nie was gehört. Aber Jane veränderte sich. Das musste sie auch.
Während der Mittagspause hatte sie sich Kayleigh Evans’ Handy geliehen – nur falls Siân auf die Nummer achtete – und im Pfarrhaus angerufen. Als der Anrufbeantworter ansprang, fragte sie mit verstellter Stimme, tief und vornehm, wann dieser
inspirierende
Meditationsgottesdienst stattfände, und ob es wirklich in Ordnung wäre, wenn jemand teilnahm, der nicht zur Gemeinde gehörte, weil sie gehört hatte,
wie voll
die Kirche immer war.
Noch ein paar Anrufe dieser Art, in sicheren Abständen, würden nicht schaden. Beim nächsten Mal würde sie vielleicht mit einem schottischen Akzent sprechen. Aber sie musste vorsichtig sein, denn diese Frau war …
…
ups
, da kam sie.
Jane erstarrte. Es war seltsam, fast surreal, eine andere Pfarrerin die Auffahrt des Pfarrhauses entlangkommen zu sehen. Siân trug einen dunklen Mantel, der über ihrem Talar offen stand, der Priesterkragen hob sich weiß ab, und ihr zinnfarbenes Haar glänzte. Sie ging zielstrebig,
fokussiert
, durch den leichten Regen auf die Kirche zu.
Am Rand des Platzes lauerte ihr Brenda Prosser vom Gemischtwarenladen auf. Da niemand anderes in der Nähe war, konnte Jane das meiste von dem, was sie sagten, hören.
«Ja, das tue ich», sagte Siân. «Wir konnten Ledwardine ja nicht eine ganze Woche ohne Pfarrerin sein lassen, oder?»
«Na ja, wissen Sie, ich hatte sie seit dem Gottesdienst am Sonntag nicht mehr gesehen», sagte Brenda, «und ich dachte schon, sie ist krank oder so. Sie arbeitet wohl manchmal ein bisschen zu viel.»
Na, vielen Dank, Brenda.
«Merrily ist sehr pflichtbewusst», sagte Siân. «Ich weiß, Sie sind von dem Laden, Mrs. Prosser, und ich bin mir vollkommen –»
«Ja, schon seit ein paar Jahren inzwischen, Mrs. Clarke. Wir sind aus Mid-Wales gekommen, als mein Mann –»
«Ich … hoffe, Sie halten mich nicht für unhöflich, aber ich treffe mich um sechs mit jemandem in der Kirche, und ich habe gerade gesehen, dass ich spät dran bin.»
«Oh, Entschuldigung –»
«Nein, es ist ja nicht Ihre –»
Sie traf sich mit jemandem? Sie hatte ja offenbar nicht lange gebraucht, um den Fuß in die Tür zu bekommen. Und warum traf sie sich mit diesem Jemand nicht im Pfarrhaus?
So verwirrend die Situation auch erscheinen mag, vertrauen Sie auf Ihre Instinkte, hören Sie auf Ihre innere Stimme und –
Janes Horoskop in der
Sunday Times
.
Klar. Scheiß drauf.
Sie zog die Kapuze ihres Parkas über den Kopf, kam hinter der Säule hervor und ging direkt auf Siân und Brenda zu. Und dann glitt sie, sich den Pelzrand der Kapuze ins Gesicht ziehend, unerkannt an ihnen vorbei, über die Straße, durch das Friedhofstor, und lief durch den Regen zur Kirche. Die kleine Tür musste eigentlich offen sein, weil dienstagabends der Chor probte.
Nachdem Jane festgestellt hatte, dass alle Bänke leer waren, schlich sie den Mittelgang entlang und lauschte auf Schritte oder Stimmen. Sie schlüpfte in die Bull-Kapelle. Hier konnte man sich immer gut verstecken. Falls jemand kam, gelangte man hinter der Holzwand zur Orgel und von dort durch den Altarraum direkt nach draußen.
Jane setzte sich auf die einzige Bank der Bull-Kapelle. Wahrscheinlich, dachte sie, traf Siân sich mit Onkel Ted. Er war Anwalt gewesen – hatte er vielleicht sogar mit Siân zusammengearbeitet?
Ted war als Kirchenvorsteher ein scheinheiliges
Weitere Kostenlose Bücher