Das Geständnis der Amme
sich selbst gesprochen und vermeint hatte, die gleichfalls gefangene Schwester würde ihr antworten.«
Der Barde setzte eine Pause, um die Spannung zu steigern, spürte die gebannten Blicke auf sich, blickte kurz hoch zur rußgeschwärzten Decke, um sich von ihren Erwartungen freizumachen –so wie Adallinda es vermocht hatte, die, ungeachtet der Zurufe, stets das erzählt hatte, was sie wollte, nicht aber das, was andere womöglich zu hören wünschten.
»›Warte!‹, rief die Prinzessin dem Krieger zu. ›Hörst du nicht, wie meine Schwester nach mir ruft! Ich kann nicht gehen ohne sie!‹
Der Krieger verstand nicht recht, was sie meinte, sah jedoch, dass sie sich umdrehen und zurücklaufen wollte. ›Wir haben keine Zeit!‹, bedrängte er sie. ›Dein böser Onkel wird uns finden,wenn wir nicht gehen !‹ Dann hob er sie einfach hoch, warf sie um seine Schultern und ging fort mit ihr. Das Mädchen suchte sich zu wehren, immer greller wurden die Sonnenstrahlen, immer mehr schmerzte es in ihrer Brust, und jeder Laut des Schmerzes hallte von den Felsen.
›Es klingt, als würde meine Schwester vor Kummer sterben!‹, rief sie, und in diesem Augenblick begann sie zu weinen, herzerweichend und verzweifelt, und das Echo von jedem Schluchzer wuchs mannigfach. Ihre Tränen freilich waren warm und weich. Sie perlten aus den Augen, rannen über die Wangen, tropften vom Kinn auf ihre Brust. Langsam verebbte dort der Schmerz, sie konnte ruhig atmen, die steinernen Wände um ihr Herz hatten sich aufgelöst.
Die Königstochter griff sich ins Gesicht, fühlte das warme Wasser ihrer Seele. ›Ich blute!‹, stammelte sie verzweifelt, ›ich blute … ich werde daran sterben.‹
Der Krieger aber, der mit ihr auf dem Rücken den See durchquert hatte, stellte sie wieder auf festen Grund. Sie blickte um sich, und weitere Tränen strömten aus ihren Augen, diesmal, weil sie erkannte, wie schön die Welt war und dass sie niemals etwas so Schönes gesehen hatte wie die glühende Sonne, den gekräuselten See und die Bäume, die im Morgendunst verschwammen.
›Nein‹, sagte er da; hier im Freien hatte er keine Schwierigkeiten mehr, ihre Worte zu verstehen, und es gab keine Felswände mehr, die hallten. ›Du blutest nicht, du weinst nur. Du wirst nicht sterben, sondern leben.‹«
Als der Barde geendigt hatte, war es fast still im Saal. Mancher Kelch klirrte, mancher Schritt eines hektischen Dienstboten verhallte, manch Räuspern oder Seufzen glitt über Lippen. Worte aber machte lange Zeit niemand – die einen, weil sie von der Geschichte gerührt waren, die anderen, weil sie sich ärgerten, dass Balduin die fröhliche Stimmung zerstört hatte, wieder andere, weil sie gelangweilt waren. Ludwig zumindest gab sich so.
Hatte er bei den Spaßen des Possenreißers noch heftig geklatscht,hielt er nun das Kinn auf die Hand gestützt und die Augen halb geschlossen, als würde er die unfreiwillige Unterbrechung nutzen, um zu schlafen. Verwirrt blickte Ansgard ihn an. Eben noch hatte sie dem Barden gebannt gelauscht, in ihren Augenwinkeln standen gar Tränen. Doch als sie nun die verschlossene Miene ihres Bräutigams musterte, senkte sie rasch den Blick.
»Bi-bi-bist du nun endlich fertig, Barde?«
Der Sänger duckte sich und schlich sich hastig von dannen. Balduin hingegen blieb in der Mitte des Saales stehen. Er hatte weder auf Ludwig geachtet noch auf den Rest der Zuhörer, einzig Judith hatte er fortwährend angestarrt – und sie hatte seinen Blick erwidert.
»Wir feiern deine Hochzeit«, sagte Balduin. »Warum sollen keine Lieder erklingen, die die Liebe besingen?«
»Ich ha-ha-habe nicht sonderlich viel von L-L-L-Liebe gehört«, meinte Ludwig mürrisch, »aber das liegt d-d-daran, dass du dem B-B-B-Barden die falsche Geschichte zu s-s-singen befohlen hast.«
»Warum denkst du, dass sie falsch war, wenn doch …«
»Es ist ge-ge-genug!« Ludwig kniff den Mund zusammen. Er hob die Hand, winkte nachlässig, und schon brachte sich der Possenreißer wieder in Position. Auch einige Akrobaten, die Kunststücke vorzuführen gedachten, gesellten sich zu ihm.
Balduin schloss den Mund. Vor Ludwig hatte er sich ohnehin nicht rechtfertigen wollen, nur vor … Doch als er sich wieder nach ihr umdrehte, war Judiths Platz leer. Sie hatte das kurze Geplänkel zwischen ihm und ihrem Bruder genutzt, um lautlos zu gehen, wie sie es schon zuvor geplant hatte.
Balduin stürmte nach draußen, erhaschte gerade noch einen Blick auf ihr
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