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Das Geständnis der Amme

Das Geständnis der Amme

Titel: Das Geständnis der Amme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Krohn
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versuchen wollte, ihn von seinen Plänen abzubringen.
    Noch ehe er auch nur ein Wort hatte sagen können, schien Ludwig ihn durchschaut zu haben.
    »W-w-w-wenn du unbedingt als er-er-erbärmlicher F-F-F-Feig-ling gelten willst, Balduin, dann kannst du gleich w-w-wieder verschwinden!«, hatte er ihn angefahren und sich abgewandt. Kurz war Balduin stehen geblieben, hatte nach beschwichtigenden Worten gerungen, doch dann war er es leid gewesen, sich zu rechtfertigen.
    Nicht vor Ludwig, dachte er und biss trotzig die Zähne zusammen, nicht vor Ludwig …
    Trotz Judiths Bitte hatte er überlegt, Senlis sofort zu verlassen, doch der Himmel verdunkelte sich bereits, und der Geruch der Speisen hielt ihn zurück – auch wenn er jetzt nichts von ihnen hatte hinunterbringen können.
    »Ich w-w-w-will Musik!«, rief Ludwig, »Wo sind die Zitherund Leierspieler! Und w-w-w-wo die Possenreißer und Sänger. Ihr vermögt doch sicher das ein oder andere Heldenlied unserer Vo-Vo-Vorfahren vo-vo-vorzutragen! «
    Ansgard klatschte begeistert wie ein Kind die Hände aufeinander, als sie den Possenreißer sah. Gänzlich unberührt hingegen saß Judith neben ihr.
    Einmal, flüchtig nur, aber lange genug, um ihre Miene zu studieren, war Balduins Blick an ihr hängen geblieben. Sie trug dieselbe schlichte taubengraue Tunika, die er schon einmal an ihr gesehen hatte, aber sie hatte – offenbar dem Brautpaar zu Ehren – mehr Schmuck als üblich angelegt: Ohrgehänge aus Gold, einen mit Edelsteinen besetzten Gürtel, an dem sich einige silberne Riechfläschchen befanden, ein Armband am Handgelenk und eine Halskette. Auf ihrer blassen Haut sah der Anhänger aus Rubin wie ein roter Blutstropfen aus.
    Als Ludwig dem Possenreißer Anweisungen gab, trafen sich kurz ihre Blicke, und er erkannte in dem ihren die eigenen Gefühle wieder: Furcht, Verachtung, ein wenig Trauer und vor allem überdruss. Sie schien müde, und auch er fühlte einen Druck auf seinen Lidern, der ob des allgemeinen Gelächters nicht leichter, sondern immer schwerer wurde. Der Anblick des bunten Vogels, den der Possenreißer auf seiner Schulter trug – er entstammte dem kleinen Tiergarten, den der Bischof hielt, so wie es viele Edle des Landes taten –, vermochte ihn ebenso wenig aufzuheitern wie die Spaße, die er darbrachte.
    Zunächst zitierte er ein paar Verse des Dichters Fardulf, in denen jener sich über Geistliche lustig machte, dann gab er den Zuhörern einige Rätsel auf.
    »Was macht den Menschen nie überdrüssig?«, war eine seiner Fragen, und die Antwort lautete: »Der Gewinn.«
    »Ich habe eine Frau fliegen sehen, mit eisernem Haupt, einem Körper aus Holz und einem gefiederten Schweif, die den Tod mit sich bringt – wer ist das?«, war die nächste. »Der Pfeil – die Gefährtin der Soldaten«, riefen einige Männer grölend.
    »Und was ist das: Sie ist feuerähnlich, das heißt Liebe, sie ist blutähnlich, das bedeutet Passion, sie wird aus Meerestieren gewonnen, das verweist auf die Taufe, sie wird von Königen getragen, das meint das ewige Leben?«
    Diesmal dauerte es länger, bis die richtige Antwort – »die Farbe Rot« – gefunden war.
    Der Possenreißer trank Wein und überließ es danach einem der
Joculatores,
die »Ecloga de calvis« vorzutragen, ein Gedicht, dessen 146 Zeilen allesamt mit einem C begannen und das von Kahlköpfen handelte – ein deutlicher Affront gegen König Karl, der schon früh in seinem Leben den Beinamen »der Kahle« erhalten hatte, so wie man Ludwig »den Stammler« nannte.
    Zu Beginn hatte Balduin widerwillig zugehört. Schließlich gingen sämtliche Worte in einem Rauschen unter, das sich in seinem Kopf ausgebreitet hatte. Er starrte in die Gesichter, sah, wie sich Münder zu einem Lachen verzerrten, wie Augen rollten, wie die Belustigung Falten zog – aber er hörte nicht mehr, was da angirrenden, schrillen, heiseren, glucksenden Lauten über die Mauler trat.
    Bruder Ambrosius hatte ihn einst darüber belehrt, dass das Lachen ein Zeichen des Teufels sei. Weder habe Christus jemals gelacht, noch würden Tiere es tun. Er hatte nicht auf ihn gehört, hatte sich vielmehr gerne amüsiert, mit seinen Kameraden, mit seinen Frauen, meist mit einem Wein- oder Bierhumpen in der Hand, auch oder gerade wenn am nächsten Tag der Tod auf ihn lauerte. Ebenso sorglos wie er in Schlachten geritten war, hatte er sich in alles fallen lassen, was Vergnügung und Ablenkung verhieß – und Vergessen. Auch jetzt, in dieser heißen,

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