Das Geständnis der Amme
beobachtet und bei seinem geheimen Vorhaben ertappt zu werden. Längst hatte er Truhen mit ihrem Gepäck in den nächsten Ort schaffen lassen, längst war die Route der Reise vorgezeichnet, die nach Lothringen, zu Judiths Vetter Lothar, führen sollte.
Balduins Pferd wieherte nervös. Reagierte es auf den Blick von Bruder Godhard, der dort vor der Kapelle stand und missmutig zu ihm herübersah? Oder auf die verborgenen Augen hinter den Luken und schummrigen Fenstern, die ihn von drinnen her beobachteten?
Nun, Bruder Godhard war meistens mürrisch, vor allem, wenn er Judith zu unterrichten hatte. Und wer immer ihn von drinnen belauern mochte, hatte bis jetzt nicht versucht, die Jagd zu verhindern.
Er war sich sicher, dass Johanna das liebend gern getan hätte. Doch nach dem letzten Streit ging sie ihm beharrlich aus demWeg, und er wunderte sich, warum sie überhaupt hier in Senlis geblieben war.
Wieder machte das Pferd einen unruhigen Satz. Als er herumfuhr, stellte er jedoch erleichtert fest, dass weder seine Geduld noch die des Tieres länger auf die Probe gestellt würde. Judith trat ihm entgegen, mit einem weinroten Obergewand über dem bräunlichen Unterkleid und einer perlenverbrämten Haube anstelle des fast durchsichtigen Schleiers. Sie ging starr und langsam wie immer, nickte ihm nur hoheitsvoll zu, ohne dass sich ihre Blicke trafen, und ließ sich dann von zwei ihrer Damen zu der weißen Stute leiten, die sie einst bei ihrer Begegnung im Stall gestreichelt hatte.
Ohne Mühe bestieg sie das Pferd, wendete es und kam zu ihm geritten. Wieder sah sie ihn nicht an, doch ihre Stimme klang ungewöhnlich hell, als sie fragte: »Bereit zum Aufbruch, Graf Balduin?«
Er war froh, keine Furcht daraus zu hören, keine Zweifel und kein Unbehagen. Er hielt gerne an der Aufgabe fest, sie aus Senlis wegzuführen, doch nur, solange sie aus vollstem Herzen darum bat.
Er nickte entschlossen. »Bereit, wenn Ihr es seid, Königin.«
Kurz blickte er zum Himmel hoch, hoffte, die grauen Wolken wären stark genug, die Regenfluten noch gefangen zu halten. Als er den Blick senkte, fiel sein Blick erneut auf Bruder Godhard. Verwirrt stellte er fest, dass sich der Ausdruck in dessen Miene vollkommen verwandelt hatte. Eben noch grimmig und verkniffen, erhellte sich nun sein Blick. Sein Mund verzog sich zu einem ebenso freudigen wie erleichterten Lächeln, das Balduin sich nicht erklären konnte. Und nicht nur das: Godhard verließ den kleinen Platz vor der Kapelle, senkte die eben noch verschränkten Arme und kam in den Hof gestürzt, als wollte er Judiths Aufbruch zur Jagd mit aller Anteilnahme feiern.
Balduin gewahrte, dass Judith ebenfalls den Mönch beobachtet hatte. Ihre Miene war starr und beherrscht, doch Balduin vermeinte ein Seufzen zu hören, sacht zwar nur, aber unverhohlen trostlos.
Er drehte sich um und erkannte, was Godhard erfreute und Judith entsetzte. Ein Wagen war in den Hof gefahren, einer jener reisetauglichen
Plaustrae,
dessen Fugen mit Wachs und Pech kalfatert und dessen öffnungen mit Leder bedeckt waren. Davor gespannt waren Zugpferde, deren Schulterjoch steif und gepolstert war, um die Tiere nicht zu verletzen. Das Joch war an den Deichseln des Wagens befestigt, damit man die Pferde hintereinander statt nebeneinander spannen konnte, um die Zugkraft zu erhöhen.
Aus dem Wagen mehr herausgepurzelt als geklettert kamen zwei blutjunge Priester mit roten Gesichtern und akkurater Tonsur, um ein Holzschemelchen vor dem Gefährt aufzustellen, sodass der Reisende würdevoll aussteigen konnte.
Balduin sah zunächst nichts anderes als Männerschuhe aus schwerem Rindsleder, geschmückt mit einzelnen Steinen und Glasperlen und mit zwei feinen Ziernähten, die sie zusammenhielten. Zuerst trat der eine, dann der andere Fuß auf den Schemel, und schließlich wurde die übrige Gestalt sichtbar, bekleidet mit einer Pelzmütze und einem Umhang – eigentlich nicht das übliche Gewand von Geistlichen –, in dem der Mann fast versank. Er war zwar groß, aber dünn, und Balduin verstand nun, warum man ihm nachsagte, ganz ohne Fett, Fleisch und Wein zu leben, nur Gemüse und Fisch zu sich zu nehmen und häufig zu fasten.
Judiths Pferd trabte auf den Gast zu.
»Wir sind auf dem Weg zur Jagd«, erklärte sie grußlos von oben herab, gleich so, als wäre das Verhältnis zu dem Eintreffenden vertraulich genug, dass sie sich das Zeremoniell und die gewöhnlichen Nichtigkeiten ersparen konnte.
Jener schien das nicht zu
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