Das Geständnis der Amme
ihre Hand los, nicht abrupt, sondern sanft. Dennoch fiel sie schwer wie ein Stein auf ihre Brust. Sie zuckte zusammen; es war ihr, als hätte sie ein heftiger Schlag ereilt. Die Wellen, die von ihm ausgingen, strömten in sämtliche Glieder. Sie stöhnte auf
»Johanna! Um Himmels willen! Wenn die Schuld tatsächlich so groß ist, wie du sagst, dann solltest du sie einem Priester anvertrauen. Nur ein solcher kann dich davon lossprechen, sodass du friedlich ins Reich Gottes eingehen kannst. Johanna … «
»Halte die Priester fern von mir!«, unterbrach sie ihn. »Ich brauche sie nicht. Ich habe mit Gott ein Geschäft gemacht – und ich bin sicher: Er ist darauf eingegangen. Nein, keine Priester. Sie sollen für Judith beten …so wie du, Balduin, so wie du …«
Fünfter Teil
Die Reise nach Rom
A.D. 862-63
»Hoch sind die Berge und finster die Täler,
die Felsen düster,
unheilverheißend die Schluchten.«
Aus dem Rolandslied
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XVIII. Kapitel
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Die Nacht verschluckte das letzte Glühen des Tages. Der Himmel, stern- und mondlos, glich einem weit geöffneten Rachen. Kein schützendes Weltendach war er, auf dessen fester Fläche der Allmächtige seinen Thron errichtet hatte, sondern ein bodenloses dunkles Meer, in dem ertrinkt, wer zu lange hineinstarrt.
Judith blickte durch das geöffnete Fenster ihres Gemachs, als suchte sie in der gesichtslosen Weite zu ergründen, ob es die richtige Entscheidung gewesen war, sich zur heimlichen Flucht zu rüsten.
Balduin trat zu ihr. »Seid Ihr bereit, Königin?«, fragte er leise.
In den letzten Stunden waren nur wenige Sätze zwischen ihnen gefallen, und wenn er ihr Fragen stellte, so hatte sie entgegen der Gewohnheit, viel zu sprechen, meist nur mit einem schlichten Ja oder Nein geantwortet. Auch jetzt kam nichts anderes als ein Nicken.
»Es ist lange nach Mitternacht«, murmelte er. »Wir … wir sollten es nun wagen.«
Wieder nickte sie, und gleichwohl er hier in ihrem Gemach erschienen war, um gemeinsam mit ihr die Flucht anzutreten, blieb er nun doch unsicher stehen, scheu, verlegen, als fehlte der letzte Impuls, das Verbotene zu tun.
Sein Blick wich Judiths aus. Als sie begannen, Pläne auszuhecken, waren sie rasch zu dem Schluss gelangt, dass sie unmöglich im Gewand einer Königin fliehen könnte, sondern sich zu verkleiden hatte, um so unauffällig wie irgend möglich zu erscheinen. Ohne jedenDünkel hatte sie selbst vorgeschlagen, dass für diesen Zweck am besten die einfache Kleidung von Bauern und Handwerkern tauge und dass sie die Rolle eines Knaben spielen wolle: mit einem Hemd aus grobem Wollstoff, einem weißen Rock und geschnürten Beinen, plumpen Schuhen und einem Messer im Gürtel.
Balduin hatte es gutgeheißen, doch nun, nachdem sie sich umgezogen und sämtliche Zeichen von Weiblichkeit verborgen hatte, deuchte es ihn peinvoll, sie so zu sehen. Er dachte, dass sie sich vielleicht schämen würde – und schämte sich deshalb selbst.
»Also gut«, murmelte er, und seine Stimme geriet stotternd wie die Ludwigs. »Lasst uns anfangen …«
Der Anfang ihrer Flucht war ohne Zweifel der waghalsigste und gefährlichste Teil. Es war kaum denkbar, dass jemand Judith außerhalb des Bischofspalastes erkennen würde, schon gar nicht in ihrer Verkleidung. Doch hier in den Gängen und auf den Treppen mochte ein weibisch gehender Bauernknabe nur allzu schnell die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Deswegen hatten sie entschieden, einen anderen Weg ins Freie zu wählen.
Indessen Balduin immer noch beschämt stehen blieb, war es Judith selbst, die schließlich nach dem Hanfseil griff, das einer Schlange gleich gerollt am Boden lag, es sich um den Leib wickelte und mit dem Ledergürtel verknotete. Balduin hatte es beschafft, ebenso wie das bäuerliche Gewand. Doch er war sich nicht sicher, ob es lang genug war, um Judith vom oberen Stockwerk, wo sie sich befanden, nach unten zu lassen. Auch jetzt blickte er zweifelnd auf das lose Ende.
»Was ist?«, fragte Judith. »Wollt Ihr … wollt Ihr es doch nicht tun?«
»Doch«, antwortete er.
»Dann solltet Ihr nachsehen, ob es eng genug sitzt.«
Seine Hände zitterten, als er zu ihr trat und den Knoten überprüfte. Obschon die Kleidung sauber war, roch sie fremd an ihr. Das weiche Haar war ganz unter einer Kappe verborgen, nur das Gesicht glänzte bleich darunter hervor.
»Eure Wangen«, stammelte er, als er ihren warmen Atem spürte,
»Ihr müsst Euch die Wangen und die Stirne schmutzig machen. Kein
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