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Das Geständnis der Amme

Das Geständnis der Amme

Titel: Das Geständnis der Amme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Krohn
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nicht.
     
    Der Griff des Mannes wurde immer schmerzhafter. Judith hatte gehofft, er würde sie loslassen, nachdem er sie ertappt hatte. Doch er zerrte sie nicht nur mit sich in Richtung der Ställe, obendrein presste er seinen wuchtigen Körper so dicht an sie, wie es seit Jahren kein Mann gewagt hatte. Jetzt erst gewahrte sie, wie tief verschüttet die Erinnerungen an ihren ersten Gatten Ethelwulf und den zweiten, Ethelbald, waren. Sie hatte gedacht, dass sie sich mühelos vergegenwärtigen könnte, wie der eine sie gierig, roh, der andere unbeholfen und verschämt angefasst hatte. Doch erst das unerträgliche Zupacken des Fremden verdeutlichte ihr, wie sehr sie ihr früheres Leben beiseite-gedrängt hatte.
    »Also«, lallte der Mann, »wer ist dein Herr? Vor wem versteckst du dich?«
    Judith biss die Zähne aufeinander. Sie konnte seine Muskeln spüren und darüber eine Schicht von weichem Fett, weil diese Muskeln offenbar schon zu lange brachlagen. Das Grauen vor seinem Körper war noch größer als das Entsetzen, entdeckt worden zu sein – nicht von einem Nachtwächter, sondern von einem Trunkenbold, der sich zum Gebüsch gestellt hatte, um sich dort nach einem durchzechten Abend zu erleichtern. Noch ehe der heiße, stinkende Strahl sie hatte treffen können, war Judith aufgesprungen – eine Unbeherrschtheit, wie sie es sich all die letzten Jahre nicht gestattet hatte. Ach, warum gerade jetzt?
    Er zerrte sie zu den Ställen.
    »Was hast du angestellt, Bursche, dass du dich im Gebüsch verkriechst?«
    Sie kamen bedrohlich nahe an die Lichtquellen heran – Fackeln, die an den Wänden brannten, aber auch Kerzen und Lampen, die von Menschen getragen wurden, die sich des Nachts am Hof herumtrieben. Einige der Männer, die den Zug von Bischof Hinkmar hierher begleitet hatten, waren darunter. Gleich neben dem Stall, wo ihre Pferde untergebracht waren, hatten sie in einer kleinen Grube ein Feuer gemacht und hielten nun wärmend die Hände darüber.
    Ob der Mann, der sie entdeckt hatte, zu ihnen gehörte?
    Es machte in ihrer Lage wohl keinen Unterschied, und sie hatte auch keine Zeit, darüber nachzudenken, denn während er sie bislang halb hinter sich hergezerrt hatte, riss er sie nun mit einer ungestümen Bewegung nach vorne, sodass er in ihr Gesicht blicken konnte.
    »Mach dich nicht unglücklich, Junge! Wirst du mir jetzt endlich Rede und Antwort stehen?«
    Das schummrige Licht traf ihr Gesicht, und sie dankte Balduin im Stillen, dass er ihr geraten hatte, die Wangen mit Asche zu verdecken. Doch dass der Mann sie noch immer für einen Knaben hielt, machte ihre Lage nicht leichter.
    Sein Gesicht rückte dicht an sie heran, sein Atem, heiß und faulig, machte ihr zu schaffen.
    Sie versteifte sich.
    »Graf Balduin«, brachte sie schließlich hervor. Sie versuchte, ihre Stimme so rau und tief wie nur irgend möglich klingen zu lassen. Doch das, was ihr über die Lippen kam, war piepsend hoch wie das Fiepen einer Maus.
    »Wie?«, fragte der Mann, der davon offenbar nicht irritiert war. »Was sagst du?«
    Judith sah, wie sich langsam die Blicke der andern Männer hoben, zuerst noch gelangweilt, dann neugierig, was da einer der ihren mit einem Knaben zu schaffen hatte. Mochte sich jener in seinem betrunkenen Zustand von ihr an der Nase herumführen lassen – sie war sich sicher, dass sie trotz der Aschespuren nicht lange verbergen konnte, wer sie war, vor allem, wenn sich ihre Kappe löste, die schon jetzt locker saß.
    »Graf Balduin«, versuchte sie wieder zu knurren, »Graf Balduin ist mein Herr.«
    »Wer?«, schrie er.
    Wenn Hinkmar von Reims mich in dieser Lage sehen könnte, dachte Judith, und sie konnte nicht umhin, inmitten von Schrecken und Ekel auch einen Funken Belustigung zu spüren – die ihr freilich bald verging, denn eben fuhr der Mann sie an: »Den kenn ich aber nicht. Wer ist Graf Balduin?«
    »Ei-ei-ein Vassall des Königs.«
    Jetzt erst bemerkte sie, wie sie stotterte. Zum ersten Mal konnte sie nachfühlen, wie es Ludwig ergehen musste.
    »So, so«, knurrte der Mann. »Hab noch nie von ihm gehört. Kennt einer von euch Graf Balduin?«
    Er drehte sich den anderen Männern zu, doch Antwort kam nicht aus ihrer Richtung, sondern aus einer ganz anderen.
    »Wenn Ihr wollt, könnt Ihr ihn rasch kennenlernen!«, sprach die Gestalt, die sich unauffällig genähert hatte und sich nun bedrohlich neben dem Trunkenbold aufrichtete. »Und nun gebt mir meinen Knaben!«
    »Hört, hört«, lallte der Mann, »dein

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