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Das Geständnis der Amme

Das Geständnis der Amme

Titel: Das Geständnis der Amme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Krohn
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Knabe. Weißt aber schon, dass er sich vor dir versteckt hat, oder? Warum wohl?«
    »Weil er bereits weiß, wie schmerzhaft meine Fäuste sein können. Willst du es auch erfahren?«
    Judith gewahrte erleichtert, dass der Griff des Mannes sich lockerte. Noch ließ er sie nicht gänzlich los, aber als Balduin nun ihren freien Arm umfasste und daran zog, schwand sein Widerstand.
    »Du solltest ihn dafür bestrafen, dass er sich des Nachts herumtreibt«, nörgelte der Mann.
    Judith, die nun eine Hand frei hatte, zog rasch ihre Kappe tiefer ins Gesicht.
    »Glaub mir, das werde ich tun«, gab Balduin zurück.
    Nicht minder roh als zuvor der Trunkenbold riss er sie mit sich und machte ein vermeintlich strenges Gesicht, insgeheim freilich sorgsam darauf bedacht, sie von den Fackeln wegzuführen und auch von den Männern, deren Interesse ebenso rasch erstarb, wie es erwacht war.
    Erst an der Rückseite der Ställe blieb er stehen.
    Judith atmete mehrmals tief durch. »Nun«, spöttelte sie leise und gewann die Herrschaft über ihre Stimme wieder. »Kriege ich nun eine Tracht Prügel?«
    Balduins Griff lockerte sich augenblicklich.
    »Ihr wisst«, murmelte er besorgt, »dass uns Gefährliches bevorsteht.«
     
    Balduin hatte gehofft, dass es noch stockdunkel wäre, wenn sie die schützenden Wälder rund um Senlis erreichen würden, doch an den Rändern der Nacht kratzte schon das Morgengrauen.
    Einfach hatte der Plan geklungen, wonach er sein Pferd draußen vor die Stadtmauer hatte bringen lassen und sie später nur das kleine geheime Tor nutzen mussten, das auch nachts für die Boten des Bischofs offen stand. Doch wo genau sich dieses Tor befand, wussten sie nicht, und ihre Hoffnung, dass es gleich neben dem Haupttor zu finden wäre, erwies sich als Irrtum.
    Wie in einem Käfig gefangen schlichen sie umher, mieden das Licht und die Menschen, von denen sich mehr auf den Beinen hielten, als sie erwartet hatten. Einer schien ihnen besonders hartnäckig auf den Fersen zu sein – ein einarmiger Bettler, den die Welt wohl bereits derart gestraft hatte, dass er sich vor den nächtlichen Geistern und Dämonen nicht fürchtete, sondern die finsteren Stunden zu wirren Reden nutzte, die er krächzend hinausbrüllte. Weder Judith noch Balduin achteten auf deren Sinn, doch wenn der Mann zu viel Aufmerksamkeit auf sich zog, konnte er ihnen gefährlich werden. Gottlob schien man ihn bereits zu kennen – denn bis auf Judith und Balduin wies ihn niemand an, das stinkende Maul zu halten.
    Als sie das Tor endlich fanden, war es von zwei Soldaten bewacht. Balduin hatte schwer mit dem Bedürfnis zu kämpfen, ihnen eins über den Schädel zu ziehen. Er war sich sicher, dass er ohne sonderliche Schwierigkeiten mit beiden gleichzeitig fertig würde. Doch Judith hielt ihn entschieden davon ab und erklärte, dass ihre Flucht niemanden zu Schaden bringen sollte.
    Es war in diesem Augenblick, da er zum ersten Mal darüber nachdachte, wie sehr diese Flucht ihm selbst schaden konnte. Bislang waren seine Gedanken nicht weiter gegangen als bis zu dem Punkt, Judith aus Senlis hinaus und nach Lothringen zu bringen. Erst jetzt wagten sie sich einen Schritt weiter, erkannten –vielleicht dank der kalten Nacht nüchtern gestimmt –, dass er nicht so leicht in sein altes Leben würde zurückkehren können, wie er leichtfertig gedacht hatte. Niemand, so stand ihm plötzlich deutlich vor Augen, würde Judiths Verschwinden von dem seinen trennen, selbst, wenn Madalgis ihn nicht verraten würde.
    Noch erlaubte er es den Sorgen nicht, sein Gemüt zu zermürben – nicht, solange er sämtliche Kräfte für anderes brauchte: zunächst dafür, die beiden Soldaten abzulenken, bis Judith durch die schmale Türe geschlichen war, und dann, ihr zu folgen.
    Nach allem, was die Flucht bis dahin erschwert hatte, rechnete er auch nun mit Schwierigkeiten. Doch zu seiner Erleichterung kannten die Soldaten seinen Namen. Bewundernd neigtensie ihre Köpfe und schienen stolz darauf, sich in der Nähe eines Mannes zu wissen, der so viel Kriegsruhm erlangt hatte.
    Als er ihnen schließlich erklärte, er müsse augenblicklich nach Flandern reiten, weil es von neuen Angriffen der finsteren Normannen bedroht sei, wirkten sie nicht misstrauisch, sondern eher enttäuscht, weil sie ihm nicht augenblicklich folgen konnten.
    Kurz darauf stieß er zu Judith, die sich an den Wachen vorbeigeschlichen hatte, und sie hasteten zu jener Stelle, wo sein Pferd angebunden war. Sie wirkte bleich und

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