Das Geständnis der Amme
Bauernjunge ist so sauber. Am besten, Ihr …«
Seine Sätze gerieten ins Stocken, doch da war sie schon zum Kamin getreten, griff in die Asche an den Rändern der Glut und fuhr sich mit den schwarzen Händen ein paarmal über das Gesicht. Wieder konnte Balduin nicht hinsehen. Er fühlte nur, wie sein Herz schmerzhaft zu hämmern begann, als sie sich wieder erhob, um zum Fenster zu treten.
»Dann lasst es uns wagen!«, meinte sie und klang beherzter, als ihr wohl zumute war.
Balduin musste sich überwinden, noch dichter an sie heranzutreten als zuvor und sie an der Leibesmitte zu umfassen. Er war bei vielen Frauen gelegen, doch nie hatte er ein solches Maß an Vertrautheit, an Nähe gespürt, nie hatte er sich selbst so aufdringlich gefühlt, obwohl er nichts tat, was sie nicht wollte.
Es ist nicht recht, durchfuhr es ihn, während er sie hielt, es ist nicht recht … Doch zugleich zögerte er es hinaus, die Berührung zu beenden. So kostbar war sie ihm, so …
Ehe er sie wieder losließ, vernahm er ein zaghaftes Pochen an der Tür. Judith zuckte zusammen und versteifte sich.
»Wer da?«, fragte sie panisch.
»Ich bin es, meine Königin«, antwortete vom Gang her eine schwache Stimme.
Balduin und Judith blickten einander entsetzt an.
Madalgis.
Trotz Judiths deutlichem Befehl, allein gelassen zu werden, schien das Mädchen Anstalten zu machen, das Gemach zu betreten, um nach ihr zu sehen.
»Nicht!«, schrie Judith, löste sich von Balduins Körper und stürzte zur Türe, um sie zuzuhalten. »Komm nicht herein!«
»Ich sorge mich um dich, Königin«, hörte Balduin Madalgis stammeln, und er konnte nicht umhin, die Augen zu verdrehen. »Und … und ich muss dir etwas sagen. Es ist kein Zufall, dass Bischof Hinkmar ausgerechnet jetzt erschienen ist und dass der König auf dem Weg nach Senlis ist.«
»Was redest du da?«
»Man hat dich verraten, meine Königin.«
»Aber …«
Balduin führte seine Hand an die Lippen, als Zeichen, dass sie nichts Unüberlegtes sagen sollte. Judith verstand.
»Ach Madalgis«, sagte sie und beherrschte die Aufregung und das Zittern in ihrer Stimme nun besser. »Keiner kann mich verraten … denn ich plane nichts, was verboten wäre. Wenn mein Vater … Wenn der König nach Senlis kommt, dann freue ich mich darüber, ihn wiederzusehen. Du musst dir keine Sorgen machen. Lass mich … lass mich einfach nur allein.«
Unwillkürlich hielt Balduin die Luft an, als er auf Madalgis’ Antwort wartete. Das Mädchen verharrte, schien nicht recht überzeugt. Doch dann waren leise Schritte zu vernehmen, die sich entfernten.
Judith seufzte erleichtert auf. »Gott sei Dank!«
»Jetzt aber schnell!«
Ob der Gefahr, in der sie geschwebt hatten, war es für Balduin diesmal leichter, Judith ein weiteres Mal hochzuheben und sie entschlossen auf die Fensterbank zu setzen. Nachdem er den Knoten überprüft und mit seinem Blick den Hof abgesucht hatte, damit sie nicht von einem der Nachtwächter überrascht würden, begann er, sie vorsichtig hinabzulassen. Kurz stöhnte sie auf, als sie den sicheren Halt verloren hatte. Der Strick schien ihr schmerzhaft den Leib abzuschnüren, ihre Beine begannen in der Luft zu strampeln, und anstatt mit dem Unterkörper voran in die Tiefe zu gleiten, drohte sie das Gleichgewicht zu verlieren und kopfüber zu stürzen. Balduin trat der Schweiß auf die Stirne. Mit sämtlicher Kraft und Willensanstrengung wuchtete Judith den Oberkörper zurück in die angedachte Lage und verblieb so starr, dass er sie nun Stück für Stück in die Tiefe lassen konnte. Der Hanfstrick schnitt in seine Hände, vielleicht bluteten sie auch, doch darauf achtete er nicht. Immer kleiner schien ihre Gestalt zu werden, immer mehr verschmolz sie mit der Dunkelheit. Schließlich hörte er einen dumpfen Aufprall.
»Judith!«, entfuhr es ihm, wenn auch nur flüsternd.
Ihr Schatten bewegte sich, sie winkte nach oben, als Zeichen, dass sie sicher am Boden gelandet und nicht gefallen war, dann löste sie das Seil. Wieder trat ihm der Schweiß auf die Stirn, diesmal vor Erleichterung, gleichwohl er sich sagte, dass mit diesem ersten Schritt die Gefahr nicht ausgestanden war. Es war Balduin zwar ein Leichtes, nun selbst in den Hof zu gelangen, auf dem üblichen Weg durch die Gänge des Bischofspalastes. Doch in der Zeit, die er dafür brauchte, durfte Judith da unten keinesfalls entdeckt werden. Sie hatten sich verständigt, dass sie sich in der Tiefe des Gebüschs verstecken sollte, das rund
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