Das Geständnis der Amme
Schluck Wasser. Gottlob hegten die Ritter keinen Groll wider ihn und hecktennichts aus, womit sie ihn quälen konnten. Einer von ihnen war schließlich sogar bereit, ihm eine Schöpfkelle mit verdünntem Wein an die Lippen zu pressen.
Sonderlich hoffnungsvoll machte das seine Lage nicht. Nun, da die Abenddämmerung sich über sie gesenkt hatte und man ihn in eines der rasch errichteten Zelte geschafft hatte – eigentlich eine unerwartete Gnade, doch er hatte keinen Sinn dafür, dankbar zu sein –, hatte er Zeit genug, sich seine Hilflosigkeit vollends einzugestehen. Seine Füße waren immer noch gebunden und seine Hände ebenso, obendrein hatte man sie ihm am Rücken gefesselt. Er konnte sich aufsetzen, er konnte sich auf die Seite wälzen – aber ganz sicher konnte er nicht fliehen. Anfangs hatte er noch gehofft, dass die Fesseln womöglich schlampig gebunden waren und sie sich lösen könnten, wenn er nur kräftig genug daran zog. Doch am Ende dieses Trachtens waren seine Handgelenke wund, die Hanfstricke hingegen saßen so fest wie eh und je.
Als es finster wurde, ergab er sich der Verzweiflung. Er hatte keine Chance, sich zu befreien. Er trug nicht einmal sein Schwert bei sich – wie hätte er in Trier auch mit solch einem heimtückischen Angriff rechnen sollen!
Gott verfluche dich, König Lothar!, ging es ihm erstmals durch den Kopf.
Er wusste nicht, was genau geschehen war. In jedem Falle etwas, was Judiths Cousin hatte wortbrüchig werden lassen.
Er stampfte mehrmals mit den gebundenen Füßen auf den Boden, obwohl er wusste, dass das seine Lage nicht verbesserte. Deswegen hörte er auch augenblicklich damit auf, als er vom Zelteingang her eine Bewegung wahrnahm. Ganz gleich, wie ihm zumute war, er wollte sich nicht vor König Karls Männern die Blöße geben, wenn er wie ein trotziges Kind gegen das Unvermeidbare ankämpfte.
Sein Körper erschlaffte. Er blickte starr auf den mit Lederfellen bedeckten Boden, als ein junger Mann zu ihm trat, sich zu ihm beugte.
»Ich … ich habe etwas zu essen für Euch.«
Sein Stolz verlangte, jede Wohltat abzuweisen. Doch sein Magen verkrampfte sich augenblicklich vor Hunger. Er nickte, blickte hoch – und zuckte zusammen.
Der Mann, der sich zu ihm gehockt hatte, war der Kindheit noch nicht lange entwachsen. Unregelmäßig war der Wuchs seines Bartes, der die gleiche rötliche Farbe wie das Haupthaar hatte. Sein Gesicht war weiß – vielleicht ein Eindruck, der sich durch die farblosen Wimpern verstärkte.
»Ich kenne dich …«, stieß Balduin hervor und kramte in den Tiefen seines Gedächtnisses nach dem Namen.
Der junge Krieger nickte, und er wirkte tief betrübt. »Balduin«, sagte er leise, »Balduin Eisenarm.«
Bilder stiegen vor ihm auf, von jener Nacht, als er mit Ludwig auf Kriegszug war, er von einem ungewohnten Geräusch geweckt worden war. Normannen hatten das Lager überfallen, doch es hatte nicht lange gedauert, ihnen den Garaus zu machen, zumindest fast allen. Zweien war es gelungen, sich von dem Gemetzel fernzuhalten – jene, die versucht hatten, ihn, Balduin, zu ermorden. Doch ehe die Lanze des blonden Mannes auf ihn herabgesaust war, hatte der mutige Knabe sie mit einem Schwert, das eigentlich viel zu groß für ihn war, zerhauen.
»Suidger«, fiel Balduin der Name wieder ein. »Dein Name ist Suidger.«
Der junge Mann nickte. Jetzt erst bemerkte Balduin, dass er seinem Blick auswich.
»Der Mann, dem ich damals als Knappe diente, hat sich von Prinz Ludwig losgesagt«, erklärte er leise. »Deswegen bin ich jetzt hier.«
»Suidger«, setzte Balduin wieder an. »Dass ausgerechnet du es bist. Hältst du es nicht für eine göttliche Fügung?«
Der Mann zuckte zusammen. Offenbar bereitete es ihm schon seit Stunden Qualen, dass er jenen Mann gefangen hielt, den er einst für den größten und mutigsten aller Krieger gehalten hatte.
»Du hast mir schon einmal das Leben gerettet«, setzte Balduin an. »Du könntest es jetzt wieder tun.«
»Niemand hier wird Euch töten! Wir sollen nur …«
»Mein Leben ist verwirkt, sobald ich König Karl in die Hände falle, das weißt du so gut wie ich!«
»Aber ich kann doch nicht … «
Balduin konnte Suidgers widerstreitende Gefühle erahnen. Erstmals traf ihn der Blick des jungen Mannes, der verschämt, verwirrt und noch nicht alt und gebrochen genug war, um frei von dieser kindlichen Verehrung von einst zu sein.
»Ich kann Euch nicht losbinden«, sagte er flehentlich, als würde Balduin ihm mit
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